Bundesrat Stenographisches Protokoll 618. Sitzung / Seite 95

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nicht nur eine weitverbreitete Ablehnung der Autonomie durch die Italiener, sondern auch das Erstarken der neofaschistischen Partei MSI in Südtirol. Die nationalistischen Töne der demokratischen italienischen Parteien trieben die Wähler den Neofaschisten geradezu in die Hände. Der MSI wurde schließlich bei den Landtagswahlen vom 20. November 1988 zur stärksten italienischen Partei und konnte beinahe 35 Prozent der italienischen Wählerstimmen erringen. Begleitet wurde der rasante Aufstieg der Neofaschisten von einer bis heute ungeklärten und höchst mysteriösen Attentatswelle zwischen 1986 und 1988.

Die Radikalisierung der Italiener und die Attentate, die einen zu offensichtlichen – unter Anführungszeichen – "Südtiroler" Stempel trugen, zwangen die Südtiroler auf die Anklagebank der italienischen Medien und Öffentlichkeit. Die SVP hat unter diesem Druck 1988 politische Zugeständnisse gemacht und Kompromisse im Zuge der Paketverwirklichung akzeptiert, die sich heute teilweise als verhängnisvolle Fehler erweisen.

1989 war schließlich jeder innerparteiliche Dialog über die Zukunft des Landes oder die Nachpaketzeit vertrocknet. Das Paket wurde öffentlich zum erstrebten Endpunkt erklärt. Doch genau zu diesem Zeitpunkt vollzog sich eine historische Wende weltgeschichtlichen Ausmaßes. Im Herbst 1989 begann in den Staaten des Ostblocks die Revolution für Frieden, Demokratie und Menschenrechte. Für Südtirol ergaben sich daraus weitreichende Folgen, denn diese Welle des Umbruches veränderte die Landkarte Europas. Daß der Eiserne Vorhang einmal fallen, der kalte Krieg zu Ende gehen, das Selbstbestimmungsrecht sich durchsetzen und neue staatliche Einheiten entstehen würden, haben in Westeuropa nur noch Unverbesserliche zu hoffen gewagt. Und nun vollzog sich das Unmögliche!

Auf Südtirol mußte vor allem der Fall der Berliner Mauer und die Wiedervereinigung Deutschlands einen einschneidenden Eindruck hinterlassen. Diese Wiedervereinigung fand daher auch große Sympathien in Land. Die Zusammenhänge zwischen dem geteilten Deutschland einerseits und dem geteilten Tirol andererseits herzustellen, war nicht mehr schwierig. Sie lagen auf der Hand. Waren es in Deutschland nicht auch nur Utopisten gewesen, die vor dem Herbst 1989 auf die Wiedervereinigung gehofft hatten, wie in Südtirol die Utopisten die Landeseinheit Tirols gefordert hatten?

Diese aktuelle Diskussion zur Südtirol-Frage, die eben in diesem Jahr 1989 begann und 1991 ihren einstweiligen Höhepunkt erreichte – am 15. September 1991 fand am Brenner eine große Veranstaltung von Nord- und Südtirolern unter dem Motto "Nachdenken über Tirol" statt –, ebbte 1992 allerdings wieder ab und versiegte nach dem durch die SVP erfolgten Paketabschluß im Juni 1992 fast zur Gänze.

Durch den Paketabschluß lief für die Südtiroler Volkspartei jenes politische Ziel aus, das sie seit 1969 beschäftigte und das sie als Sammelpartei zusammenhielt. Das Wegfallen eines konkreten Zieles stürzte die SVP in ein politisches Vakuum, aus dem sie sich bis heute mangels neuer Zukunftsperspektiven nicht befreien konnte. Allerdings erwiesen sich auch die von Teilen der SVP 1991 vorgebrachten neuen Vorschläge zur Weiterentwicklung der Südtirol-Frage als Seifenblasen, die einmal mehr nur einer Vertröstung dienen sollten.

Die Ereignisse von 1991 haben gezeigt, daß die SVP – ebenso wie die in Nordtirol regierende ÖVP – unter dem Druck einer entschlossenen Gruppe von Selbstbestimmungsbefürwortern in Panik versetzt werden konnte. Im Herbst 1991 scheiterte jedoch der letzte Versuch auf der Landesversammlung, einen schlampigen Paketabschluß durch Magnago und Riz zu verhindern. Eine Abstimmungsniederlage für SVP-Obmann Riz lag in der Luft und konnte nur durch die Überredungskunst von Altobmann Magnago in letzter Sekunde abgewendet werden. Mit einem denkbar knappen Abstimmungsergebnis – ähnlich wie 1969 – erhielten die Selbstbestimmungsgegner Riz und Magnago grünes Licht für einen bedenklichen Paketabschluß, der schließlich im Juni 1992 erfolgte.

Unter den Gegnern dieser Preisgabe Südtiroler Rechte machte sich Resignation breit. Während sich ein Teil dem Mehrheitsvotum fügte, verließ der jüngere Teil die Südtiroler Volkspartei, die keine politische Heimat mehr sein konnte. Aus dieser Gruppe junger Aktivisten entstand im


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