Bundesrat Stenographisches Protokoll 621. Sitzung / Seite 71

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Zum inneren Aufbau: Dem Abschnitt Sozialbericht folgen die Kapitel "Tätigkeitsbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales" und die Beiträge der Interessenvertretungen. Das umfassende Werk ist übersichtlich gestaltet, gut lesbar gedruckt und mit vielen Graphiken versehen. Über die inhaltlichen Schwerpunkte gab der vorgetragene Bericht, der jetzt schon etwas zurückliegt, Auskunft.

Auch ich möchte namens meiner Fraktion allen danken, die an der Erstellung dieses Berichtes mitgearbeitet haben, und all jenen, die sehr viel Mühe und Zeit aufgewendet haben, dem Bericht substantiellen Inhalt zu verleihen.

Konkret möchte ich zu zwei Themen Stellung nehmen. Zunächst zum Pflegegeld: Laut Bericht bezogen im Mai des Jahres 1996 268 218 Personen ein Pflegegeld nach dem Bundespflegegeldgesetz. Der Aufwand des Bundes dafür betrug 19 Milliarden Schilling. Als wir im Jahre 1993 das Bundespflegegeldgesetz beschlossen hatten, lauteten die Bewertungen von "Meilenstein der Sozialpolitik" bis "Jahrhundertgesetz".

Wie weit haben sich die Erwartungen in der Praxis erfüllt? – Daß das Pflegegeld allein nicht pflegt, war schon bei der Einführung hinlänglich bekannt. Auch die Gefahr der zweckwidrigen Verwendung war dem Gesetzgeber bewußt. In einer Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern nach Artikel 15a Abs. 2 B-VG haben sich deshalb die Länder verpflichtet, flächendeckend für ein ausreichendes Angebot sozialer Dienste zu sorgen, insbesondere für die Koordination der angebotenen Dienste, für die Information und Beratung sowie für die Sicherstellung der Qualitätsstandards.

Prognosen von Experten sagen wegen der ständig steigenden Lebenserwartung bis zum Jahre 2020 eine Verdoppelung der Zahl der Pflegebedürftigen voraus, wobei die erforderliche Pflege wegen der geänderten Familienstrukturen – Kinderlosigkeit, Singles und so weiter – immer weniger im Familienverband geleistet werden kann. Diese Prognosen sollen nicht als schicksalhaft und unvermeidlich hingenommen werden, sie müssen eine besondere Herausforderung sein, insbesondere für die Gesundheits- und Familienpolitik, aber auch für die Betroffenen selbst. Die Menschen sollen nicht nur einsam älter werden, sondern auch länger gesund und mobil bleiben.

Meine Damen und Herren! Herr Minister! Hohes Haus! Gerade in Zeiten des Sparpakets spielt Geld bei der Pflege eine wesentliche Rolle. Immer weniger Bürger glauben daran, daß es dem Staat gelingen kann, die Eigenvorsorge, familiäre und nachbarschaftliche Hilfe sowie die gegenseitige menschliche und persönliche Verantwortung durch allgemeine Versorgungseinrichtungen zu ersetzen. Es stellt sich überhaupt die Frage, ob der Staat diese Aufgabe übernehmen soll. Die Lösung der Probleme kann nur durch ein Umdenken und durch neue Strukturen in der Sozialpolitik erreicht werden.

Folgende Maßnahmen erachte ich für notwendig:

Erstens: die Schaffung von mehr Eigenverantwortung und das Forcieren von privaten Dienstleistungsunternehmungen, die sich erfahrungsgemäß als kostengünstiger herausgestellt haben als öffentliche Einrichtungen.

Zweitens: Es muß selbstverständlich sein, daß die Möglichkeit der Pflege für alle gewährleistet ist, insbesondere auch für Menschen mit geringem Einkommen, und für jene, die nicht auf familiäre Hilfe zählen können.

Drittens: Um die wachsenden Pflegebedürfnisse auch in Zukunft bewältigen zu können, ist es notwendig, schon heute neue Wege der Sozialpolitik zu gehen. Mit den traditionellen Säulen allein, also durch Einkommensrisikoabsicherung – Pension, Pflegegeld und so weiter – sowie durch Schaffung von Einrichtungen – Krankenhäuser, Pflegeheime –, können diese Probleme nicht mehr bewältigt werden. Schwerpunkte der Sozialpolitik müssen vielmehr im Bereich der vorbeugenden Hilfe – wie ich es jetzt einmal nenne –, der Hilfe zur Selbsthilfe und der Hilfe zur Gesundung der persönlichen Lebenssituation gesetzt werden. Zur Nutzung der notwendigen individuellen und gesellschaftlichen Potentiale muß daher die von der Familie und den Nachbarn geleistete Hilfe anerkannt und aufgewertet werden.


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