Bundesrat Stenographisches Protokoll 621. Sitzung / Seite 72

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Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Lassen Sie mich noch zu einem anderen Schwerpunkt des vorliegenden Berichtes einige Anmerkungen machen. Es geht um die Kapitel "Finanzierung der Sozialversicherung" und "Kennzahlen der Pensionsversicherung". Von Zeit zu Zeit geistert das Schlagwort "Unfinanzierbarkeit des Sozialsystems" durch die Medien. Was heißt unfinanzierbar? – Für das Pensionsversicherungssystem gilt das gleiche, was für den Wohlfahrtsstaat insgesamt gilt: Theoretisch braucht ein Pensionsversicherungssystem nach dem Umlageverfahren nie unfinanzierbar zu werden. Das heißt, alles, was die Alten, das heißt, die aus dem Erwerbsleben Ausgeschiedenen, an Pensionen, Gesundheitsleistungen, Pflege und anderem erhalten sollen, können die jeweils Jungen, das heißt, die Erwerbstätigen, über Beiträge oder Steuern aufbringen. Also: Die Jungen finanzieren die Alten direkt.

Die immer aktueller werdende Frage ist: Welche Belastung kann oder soll der nächsten Generation zugemutet werden? Ab dem Jahre 2008, also in elf Jahren, werden die Alten, das heißt alle, die in Pension sind oder davor stehen, infolge des Geburtenrückganges politisch die Mehrheit der Stimmbürger stellen. Theoretisch könnten sie dann jederzeit die Erwerbstätigen zwingen, einen immer größer werdenden Anteil ihres erarbeiteten Wohlstandes abzutreten.

Daß dies keine Gedankenspielereien sind, belegt die von den Sozialpartnern erarbeitete Studie "Soziale Sicherheit im Alter". Vielleicht ist sie bekannt. Dort wird beschrieben, was passiert, wenn nichts passiert. Der Beitragssatz müßte fast verdoppelt werden.

Wir stehen also vor der Entscheidung: Wie wollen wir unsere Altersvorsorge gestalten? Jeder Österreicher weiß oder sollte wissen, daß alle Pensionsanwartschaften, die er durch seine Beiträge zur Pensionsversicherung erwirbt, durch nichts gedeckt sind. Zwar kann sich jeder auf das Gesetz berufen, doch ob er tatsächlich in 30 Jahren seine Ansprüche in voller versprochener Höhe erhält, ist völlig offen. Seine Ansprüche richten sich nämlich an die nächste Generation, an die Generation, die teilweise noch gar nicht geboren ist oder in den Kinderschuhen steckt.

Sie wissen, ich rede vom ungeschriebenen Generationenvertrag. Eltern erziehen Kinder, Kinder sind moralisch verpflichtet, ihre Eltern im Alter zu erhalten. Eine Konsequenz dieses Umlagesystems ist aber, daß auch die Pensionen der Kinderlosen von den Kindern der anderen bezahlt werden. Hier zeigt der Generationenvertrag die enge Verflechtung zwischen Sozial- und Familienpolitik.

Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Die im Bericht angeführten Strukturanpassungsgesetze 1995 und 1996 waren notwendige Maßnahmen zur Budgetkonsolidierung. Man mußte einer Entwicklung begegnen, die auf der einen Seite allen alles verspricht – von der kostenlosen Bildung über kostenloses Studium, Gesundheit zum Nulltarif, Pensionen nach kürzesten Lebensarbeitszeiten –, auf der anderen Seite aber Steuern und Beiträge einheben muß, die jede Leistungsbereitschaft zu ersticken drohen.

Dieser Wohlfahrtsstaat ist unfinanzierbar. Wir alle müssen uns anstrengen und ihn auf den jederzeit finanzierbaren Sozialstaat zurückführen. Unsere Zustimmung, die meiner Fraktion, gilt nicht dem Sozialabbau, sondern dem Illusionsabbau. – Danke sehr. (Beifall bei der ÖVP und des Bundesrates Kraml. )

18.21

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet hat sich weiters Herr Bundesrat Karl Drochter. Ich erteile es ihm.

18.21

Bundesrat Karl Drochter (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren des Bundesrates! Ich glaube, daß der vorliegende Bericht über die soziale Lage 1995 ein sehr umfassender ist, daß er informativ und für die tägliche politische Arbeit unverzichtbar ist. Ich möchte mich auch beim Herrn Bundesminister und bei den Beamten für die Erstellung dieses Berichtes bedanken.


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