Bundesrat Stenographisches Protokoll 621. Sitzung / Seite 84

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

Ich glaube, gute Wirtschaftspolitik ist das beste Mittel, um eine gute Sozialpolitik betreiben zu können. Denn die Sozialpolitik erhält ihre Mittel und ihre Ressourcen von denen, die ihre Beiträge zahlen, und von denen, die hohe Steuern zahlen. Ich möchte sagen: Nur Gewinn ist sozial, denn nur mit Gewinn können wir den Sozialstaat finanzieren. – Wir betreiben jetzt 50 Jahre Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik, müssen nunmehr aber erkennen, daß wir wahrscheinlich das Optimum dieser Politik des Geldausschüttens überschritten haben.

Ein Beispiel aus den jüngsten Tagen zeigt, wie man an der österreichischen Wirklichkeit oder an den Bedürfnissen der österreichischen Wirtschaft, aber auch den österreichischen Autofahrern vorbeigeht, indem nämlich die Herstellung eines simplen Druckwerkes, nämlich des Autobahnmautpickerls, nach Chicago vergeben wird. Ich bezeichne diese Vorgangsweise als schlichtweg asozial und gegen die Interessen der österreichischen Arbeiter gerichtet, wobei ich unter "Arbeitern" nicht nur jene verstehe, die Schwielen an den Händen haben, sondern auch jene, die an der Hochschule oder Rechtsanwälte sind, oder auch die Hausfrau. Gegen all jene ist diese Maßnahme gerichtet, denn damit werden die österreichischen Arbeiter, Arbeiterinnen und Arbeitnehmenden gefrotzelt. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Das trifft nicht auf Sie zu, Herr Bundesminister, aber es trifft auf die Entscheidungsfinder zu. (Bundesrat Hüttmayr: Herr Kollege! Das ist entweder Populismus oder Uninformiertheit!) Sie können es so bezeichnen! Aber fragen Sie Herrn und Frau Österreicher, wie sie es empfinden, wenn ein solcher Auftrag, der in Österreich sehr wohl erfüllt werden kann, nach Chicago vergeben wird! Das hat wirklich nichts mit Populismus zu tun, sondern nur mit Einsicht in die Wirklichkeit. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenruf des Bundesrates Ing. Penz. ) Haben Sie etwas gegen den Altösterreicher Kollegen Sichrovsky? Es ist wirklich eine Ungeheuerlichkeit, ihn dorthin zu schieben, wo er jetzt sein Brot erwirbt! Sie wollen jetzt vielleicht noch dazu sagen: Deshalb, weil die Pickerln dort gemacht werden! – Pflanzen Sie jemand anderen! (Bundesrat Ing. Penz: Sie lassen sich auch gut pflanzen!) Das ist eine Möglichkeit, Herr Kollege! Wir werden beim Bauernstand dann das auspflanzen, was Sie eingepflanzt haben. Dieser wird sich mit der Zeit auch über Sie beklagen!

Meine Damen und Herren! Ein viel strapaziertes Wort im Zusammenhang mit der sozialen Lage ist das Wort "Solidarität". Jedesmal, wenn ich das Wort "Solidarität" höre, reißt es mich, und zwar aufgrund meiner christlichen Erziehung. Denn das Wort "Solidarität" steht in tiefem Zusammenhang mit gelebtem Christentum. Es wird jedoch heute mißbraucht, indem man es im Zusammenhang mit Beitragserhöhungen nennt, gesetzliche Steuererhöhungen und die Senkung von Leistungen durch verschiedene Einrichtungen damit begründet. Das soll Solidarität sein? – Wenn Sie das darunter verstehen, dann bitte ich Sie, das Wort nicht mehr zu verwenden! Nennen wir das doch schlicht und einfach: Steuererhöhungen, Beitragserhöhungen oder Schröpfen! Das ist viel zutreffender!

Heute können wir in der Zeitung lesen – es wurde schon erwähnt –, daß sich 950 000 Österreicher und Österreicherinnen an der Armutsgrenze befinden. – Wie kommt es, meine Damen und Herren, daß 50 Jahre Sozialpolitik in dieser zweiten Republik dazu führen, daß fast eine Millionen Österreicher an der Armutsgrenze und Armutsschwelle leben, Herr Bundesminister? Wie kommt es dazu, daß eine Politik, nach der 50 Jahre lang die Umverteilung gepredigt wird, zu einer Gefährdung von einer Million Österreichern beigetragen hat? (Bundesrat DDr. Köngishofer: Weil Verluste und Budgetdefizite unsozial sind!) Vermutlich wird es so sein, Herr Kollege! Ich danke für die Einwendung!

Die Staatsverschuldung, die ins Unermeßliche gestiegen ist, hat zu dieser Situation beigetragen. Sie ist derzeit so hoch, daß ich ein wenig den Verdacht hege, daß die Bundesregierung die Flucht in den Euro deshalb antritt, um die finanzielle Situation der Republik Österreich nicht mehr in Schilling beziffern zu müssen. Ich habe den Eindruck, daß die Flucht in die EU diese Situation insgesamt am besten charakterisiert. Man flieht aus der Gebietskörperschaft, in der man selbst nicht mehr Herr der Situation ist, die man aber selbst 50 Jahre lang betrieben hat.

Man preist nun die Mondialisierung, man preist die "global players". Die Verwendung des Begriffes "global player" empfinde ich übrigens im Zusammenhang mit Sozialpolitik als besonders


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite