Bundesrat Stenographisches Protokoll 622. Sitzung / Seite 28

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Herr Bundeskanzler! Neben dem Vorsitzenden in der Bundesregierung sind Sie gleichzeitig – Sie haben das auch treffend bemerkt – auch der Chef, der Minister des Bundeskanzleramtes, Sie haben Ressortverantwortung, Sie haben den Vorsitz im Kollegialorgan Bundesregierung und – Herr Professor Böhm und ich sind da, glaube ich, über Fraktionsgrenzen hinweg einer Meinung – sind gleichzeitig auch der Ressortverantwortliche des Bundeskanzleramtes, wobei ein glänzender Präsidialvorstand, Herr Sektionschef Dr. Alfred Mayer, Ihnen so wie Ihren Vorgängern zur Seite steht; ich gratuliere zu ihm!

Und Sie haben noch etwas: einen höchst beachtenswerten Verfassungsdienst. Herr Bundeskanzler, und wenn ich die Ehre habe, hier stehen zu dürfen – auf Wunsch meiner Partei, ich hätte mich eigentlich heute mehr zurückgehalten –, eines noch: Wir haben seit langem neben der Erfüllung des Perchtoldsdorfer Abkommens den Wunsch, daß es zu einer Neukodifikation des Bundes-Verfassungsgesetzes 1920 kommt. Bedeutende Staatsrechtslehrer – ich nenne Kollegen Robert Walter, ich nenne Herrn Kollegen Heinz Schäffer aus Salzburg – haben in beachtenswerten Gutachten – Klecatsky kommt in anderer Weise vor; ich freue mich, daß Sie ihn zitieren, ich habe ihn am Freitag bei meinem Vortrag über das Südtirolpaket in Bozen auch zitiert – dieses Thema erörtert. Ich möchte Ihnen sagen, es wäre wichtig, wenn man nach dem Jubiläum der Republik Österreich, dem Millennium, an das Jubiläum des Bundes-Verfassungsgesetzes 1920 denkt. Verdienstvollerweise denkt Kollege Fischer jetzt schon daran, daß er 1998 etwas tun muß, es ist auch eine Festschrift erschienen.

Wir brauchen eine Neukodifikation des Bundes-Verfassungsgesetzes. Sie können doch nicht Peter Zapfl oder einer Tante Gusti in St. Martin am Frostaufbruch erklären, warum der umfassende Umweltschutz in einem eigenen Bundesverfassungsgesetz – ohne Bindestrich jetzt – geregelt ist, die umfassende Landesverteidigung hingegen in Artikel 9a des B-VG.

Da kann man sagen, Ermacora hat sich für das eine so eingesetzt und für das andere anders. Leider gibt es den Felix nicht mehr. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben ein Rechtsfeld Pluralismus, und jetzt sei Hans Klecatsky zitiert, der schon in dem von mir 1980 herausgegebenen Buch "Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung" geschrieben hat, wir haben eine Ruinenhaftigkeit des österreichischen Verfassungsrechtes mit Verfassungsgesetzen des Bundes, der Länder, in einfachen Gesetzen enthaltenen Verfassungsbestimmungen und verfassungsändernden Staatsverträgen.

Meine Damen und Herren! Ich werde in wenigen Tagen die Ehre haben, in Oxford eine Gastvorlesung über "Constitutional trends in modern democracy" zu geben, und da werde ich darauf hinweisen, was gravierender ist: eine nicht geschriebene Verfassung Großbritanniens – aber mit einem starken Verfassungsbewußtsein – oder eine Unzahl von geschriebenen Verfassungsrechtsbänden und keinem Verfassungsbewußtsein, denn die Art und Weise, wie auch dieses Haus mit der Verfassung umgeht, ist bisweilen diskutabel.

In diesem Zusammenhang erwähne ich die Publikationen und glänzenden Vorträge auch der letzten Zeit des Herrn Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes Ludwig Adamovich junior – obwohl über sechzig –, aber auch der Vater ließe sich zitieren, meine sehr verehrten Damen und Herren, und viele andere, denn es ist bedauerlich, daß wir das alles ausdiskutiert haben und nichts geschieht. Ich sage Ihnen, es ist bedauerlich, daß es zu keiner Neukodifikation des Bundes-Verfassungsgesetzes kommt.

Herr Bundeskanzler! Ich würde Sie bitten, daß man die glänzenden Vorarbeiten, die schon durch die Leiter des Verfassungsdienstes Adamovich und Dr. Holzinger erfolgt sind, einbringt und weiterführt. Das ist alles bereits vorhanden, man muß nur politisch wollen.

Warum sage ich das, meine Damen und Herren? – Weil die österreichische Politik vor allem von Kammern und von freien Interessenverbänden mit sogenannter freier Mitgliedschaft getragen wird. Und dort, wo es das nicht gibt, wie etwa beim Recht, bleibt alles liegen. Bezüglich Föderalismus werden Sie sagen, es gibt ja die Landeshauptmännerkonferenz. Natürlich, aber die setzen sich ja für ihre Kompetenzen ein, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe selbst daran mitgewirkt, daß der Gemeinde- und Städtebund in die Verfassung gekommen sind.


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