Bundesrat Stenographisches Protokoll 624. Sitzung / Seite 81

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größten Baustelle Europas, in Berlin, portugiesische Arbeiter tätig sind, während deutsche Bauarbeiter arbeitslos sind? Es ist eine Unmenschlichkeit des kapitalistischen Systems, daß man einerseits portugiesische Arbeitnehmer ... (Bundesrat Meier: Das vertreten wir doch nicht! Glauben Sie, daß wir das kapitalistische System vertreten? Schauen Sie in Ihre Betriebe! Dort wird das gehandhabt!) – Ich komme gleich zu Ihnen. (Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Schauen Sie sich die Nachrichten im Fernsehen an! (Bundesrat Meier: Wo sind Portugiesen in Österreich?) Ich skizziere nur die Dinge, wie sie sich darstellen. In Berlin arbeiten portugiesische Bauarbeiter um einen Hungerlohn, und deutsche Bauarbeiter sind arbeitslos, und deshalb gehen die Arbeiter auf der Straße. In Berlin demonstrieren Bauarbeiter, im Ruhrgebiet demonstrieren Stahl- und Bergarbeiter, in Brüssel und in Paris demonstrieren die Automobilarbeiter, und bald werden auch bei uns die Arbeiter auf die Straße gehen, weil sie erkennen werden, daß Sie ihnen keinen Schutz mehr geben können. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Meier: Aber Sie wahrscheinlich! – Zwischenruf des Bundesrates Dr. Kaufmann. ) Das sage ich Ihnen dann schon!

Schauen Sie sich die Wahlergebnisse an! Wir treten nicht nur hier dafür ein, sondern wenn wir die entsprechende Regierungsverantwortung hätten, würden wir entsprechende Maßnahmen fordern! (Weitere Zwischenrufe bei SPÖ und ÖVP.)

Natürlich geht der Schutz der Arbeitsplätze nicht ohne einen gewissen Protektionismus. Das ist mir schon klar. Wenn man nur der reinen Globalisierung das Wort redet, dann, so sage ich Ihnen, schmelzen unsere Arbeitsplätze weg wie die Butter in der Sonne. (Bundesrat Ing. Penz: Aber die Globalisierung ist doch Realität!) Ja, sie ist eine Realität! Aber es steht nichts dagegen, daß sich ein großer Wirtschaftsblock wie die EU mit 400 Millionen Menschen im Binnenmarkt gegen Dumpingpreise aus Niedriglohnländern wehrt! Das ist natürlich möglich. Ich werde Ihnen das auch gerne privat sagen. (Bundesrat Ing. Penz: Von einem GATT-Abkommen haben Sie noch nichts gehört?) Ich habe schon von einem GATT-Abkommen gehört. Ein solches Abkommen existiert. Aber wer hält sich daran? Wer opponiert dagegen? Wem dienen diese Abkommen? – Das sollten Sie einmal hinterfragen!

Ich sage Ihnen: Dieses Gesetz dient nur dazu, unseren Sozialstaat von einem 100prozentigen auf einen 90prozentigen oder 80prozentigen Sozialstaat abzuschwächen. Damit werden Sie jedoch keinen Erfolg haben! Sie stehen heute in Konkurrenz mit Ländern, die nur 10, 20 oder 30 Prozent unserer Sozialstandards erreichen! Da werden Sie auch mit einem 80prozentigen Sozialstaat keinen Erfolg haben!

Ich vermisse vor allem die europäische Solidarität der Gewerkschaften. Wo sind denn die deutschen, die französischen, die belgischen und die österreichischen Gewerkschaften? Tun sie sich zusammen und fahren einmal nach Brüssel zu den Kommissaren und reden mit ihnen und warnen vor einem Abbau der Sozialstandards? – Weit und breit sieht man nichts davon! (Heftige Zwischenrufe.) Früher haben Sie gesagt: Alle Räder stehen still, wenn unser starker Arm es will. Heute rühren Sie keinen Arm mehr zur Sicherung der Arbeitsplätze und der Sozialstandards. (Bundesrat Meier: Sie sagen immer, daß die Sozialstandards zu hoch sind! Jetzt verteidigen Sie sie auf einmal!) Ab und zu wäre es aber nicht schlecht, auch mit dieser Maßnahme zu drohen. Ich fordere nicht dazu auf. Aber ich stelle fest: Wenn sich die Arbeiter wehren, werden sie in erster Linie von den Gewerkschaften in Stich gelassen, wie die spanischen LKW-Fahrer und die Berliner Bauarbeiter. (Bundesrat Meier: Sie überholen jetzt ganz links!)

Frau Fischer hat hier gesagt, daß der Mensch im Mittelpunkt stehen muß. Sie hat völlig recht! Sie hat aber übersehen, daß der Mensch schon längst nicht mehr im Mittelpunkt steht. Heute steht das Kapital im Mittelpunkt der Interessen. Das Kapital diktiert auch Ihre Handlungsweise hier im Parlament, aber das wollen Sie nicht erkennen! Die einzige Möglichkeit, sich gegen diesen Sozialabbau zu wehren, besteht darin, ein Gegengewicht zu bilden. Die Staaten und deren Gewerkschaften müssen ein Gegengewicht bilden und nicht dem Sozialabbau Tür und Tor öffnen! Das werfe ich Ihnen vor!


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