Bundesrat Stenographisches Protokoll 626. Sitzung / Seite 51

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prozesses größtem Zweifel bezüglich ihrer inneren sachlichen Berechtigung und insbesondere auch ihrer Praktikabilität.

Ich akzeptiere es noch durchaus, daß in Hinkunft die Anzeigepflicht bei leichteren Suchtgiftdelikten dann entfallen soll, wenn sich der Süchtige gesundheitsbezogenen Maßnahmen unterzieht. Ebenso kann man durchaus darüber reden, daß das geringfügigere Mittel der Weisung, sich einer Therapie zu unterziehen, als Alternative an die Stelle einer Untersuchungshaft treten können soll, desgleichen über die Erweiterung des Aufschubes des Strafvollzugs, um gesundheitsbezogene Maßnahmen durchführen zu können. Freilich müßte dann auch sichergestellt sein, daß der Süchtige wirklich einer entsprechenden Behandlung zugeführt wird und ihr Fortgang und ihr Erfolg wirksam überwacht werden.

Nicht mehr ernsthaft diskutabel erscheint mir aber die äußerst großzügige Erweiterung der Möglichkeit, die Anzeige durch den Staatsanwalt vorläufig zurückzulegen beziehungsweise das gerichtliche Verfahren vorläufig einzustellen, wonach künftig erstmals auch die sogenannte Begleit- oder Beschaffungskriminalität weitgehend miteinbezogen wird. Das geht nicht nur als Privilegierung zu Lasten schuldloser Dritter zu weit, indem es ihnen ein unzumutbares Sonderopfer auferlegt, sondern diese Ermächtigung erscheint auch als Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz verfassungswidrig, denn die Ratio der strafrechtlichen Begünstigung gründet offenbar auch in der Überlegung, daß der Drogenabhängige nur vermindert schuldfähig ist.

Ebendieses Argument käme aber auch jedem anderen schwer Süchtigen, auch jedem schwer Nikotin- oder Alkoholsüchtigen zugute, ohne daß das Gesetz bei ihm die gleiche Milde walten läßt – und das meines Erachtens zu Recht. (Vizepräsident Weiss übernimmt den Vorsitz.)

Die mangelnde Praktikabilität ergibt sich für mich auch daraus, daß die bloße Behauptung des einer Straftat Verdächtigten oder Überführten, an Drogen gewöhnt zu sein, nicht stets überprüfbar ist. Zunächst müßte also objektiv festgestellt werden können, daß der Drogentäter selbst abhängig ist. Sonst würde gewitzten oder durch einschlägige Vereine gut beratenen Mitgliedern der entsprechenden Szene ein mißbräuchlich nutzbarer Freiraum verschafft werden. Ja, noch viel schlimmer: Professionelle Drogendealer könnten dadurch selbst in den Genuß jener Bestimmungen kommen, die ausschließlich zugunsten süchtiger Täter erlassen worden sind.

Daß es der Mehrheit im Nationalrat bedauerlicherweise nicht primär um den Schutz der noch nicht von der Sucht befallenen Jugendlichen gegangen ist, zeigt auch die Ablehnung des Vorschlages einer mit Suchtgiftkranken beruflich befaßten Primaria, Frau Abgeordneter Dr. Povysil – sie trägt allerdings den "Makel", der freiheitlichen Fraktion anzugehören. Sie ist nachdrücklich für eine aus begründetem Anlaß erfolgende Drogenkontrolle in den Schulen durch den Schularzt eingetreten. Abgeordneter Dr. Rasinger berief sich auf seine früheren Erfahrungen als Schularzt, als er ihr entgegenhielt, daß jeder Schüler, der auch nur im Verdacht steht, eine Droge probiert zu haben, gnadenlos von der Schule verwiesen werde. Zwar bin ich bereit, ihm das zu glauben, halte aber ein solches Vorgehen für völlig verfehlt und sachlich unvertretbar.

Sogar diesem ernstzunehmenden Bedenken gegenüber muß ich mit Entschiedenheit die kritische Frage stellen: Geht es uns primär um den Schutz des einzelnen Süchtigen, oder geht es uns primär um den Schutz der noch nicht von der Sucht befallenen Jugendlichen vor der Gefährdung durch bereits Drogenabhängige? Geht es primär um Rehabilitation oder um Prävention? – Eine Rechtsordnung, die sogar im Bereich der Schule dem Ziel der drogenfreien Gesellschaft nicht den klaren Vorrang gegenüber dem Ziel der Entwöhnung bereits Süchtiger einräumt, verwirkt meines Erachtens die Legitimation für die Schulpflicht, weil sie die elementarste Schutzpflicht gegenüber den der Schule anvertrauten gefährdeten Jugendlichen vernachlässigt.

Zurück zum strafrechtlichen Aspekt der Neuregelung: So sehr ich als ein dem Zivilrecht verhafteter Jurist die Reaktion der Rechtsordnung mit den repressiven Mitteln des Strafrechts nur für die Ultima ratio halte, so wenig Verständnis habe ich dafür, daß die Rücknahme strafrechtlicher Sanktionen, auch im Bereich der Beschaffungskriminalität, der Kompetenz des Bundesministers für Justiz auf exekutiver und des Justizausschusses auf parlamentarischer Ebene ent


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