Jetzt komme ich zur Tatenmasse, die auch Sie, Herr Kollege Ludwig, angesprochen haben. Es ist zwar richtig, daß die Zuwachsraten in den einzelnen Deliktsgruppen von Jahr zu Jahr schwanken, tendenziell ist jedoch eine massive Zunahme der Kriminalität über die letzten Jahre hinweg zu verzeichnen, sowohl bei der Zahl der Anzeigen als auch bei der Zahl der Täter und Opfer. Schauen Sie sich auf Seite 20 die Übersicht über alle gerichtlich strafbaren Handlungen an! Abzüglich der Delikte im Straßenverkehr betrug die Gesamtsumme 1991 425 416, im Jahr 1992 458 655, 1993 wieder 452 611, 1994: 462 591 und im Jahr 1995 444 455, was einer Abnahme gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Im Verhältnis zum Jahr 1991 ist das jedoch eine Zunahme von rund 20 000 Delikten. Das Jahr 1990 ist in dieser Tabelle nicht genannt, aber auf der nächsten Seite kann man einer Liste mit den Veränderungen zum Vorjahr die Zunahme in Prozenten entnehmen und sich ausrechnen, daß es 1990 ungefähr 415 000 Delikte gewesen sein müssen. Ich möchte über längere Zeiträume gar nicht zurückblicken, in den siebziger und achtziger Jahren waren die Zahlen sicherlich noch viel niedriger!
Sie werden sagen, daß diese Rückschau und dieser Vertikalvergleich irrelevant sind und daß man, wenn man sich ein Bild machen will, vielmehr unsere Kriminalstatistiken mit jenen aus anderen Ländern vergleichen muß. – Ich meine, daß es ein grundsätzlich methodischer Fehler ist, wenn man so vorgeht.
Ich bringe Ihnen ein Beispiel: Wenn zwei Autos mit hoher Geschwindigkeit nebeneinander auf ein Hindernis zufahren und der Beifahrer zum Fahrer sagt, er solle die Geschwindigkeit reduzieren, weil es sonst zu einem Crash kommt, dann nützt es nichts, wenn der Fahrer sagt: Das Auto daneben fährt ja noch schneller, ich bleibe bei meiner Geschwindigkeit. Der Enderfolg wird sein, daß der eine mit 150 km/h an die Wand knallt und der andere nur mit 120 km/h. Der Effekt wird aber für beide letal sein.
Genauso spielt es sich hier ab: Wenn sich die Kriminalität immer so weiterentwickelt und in allen Ländern die Dynamik einer Zunahme von Jahr zu Jahr hat, dann wird es irgendwann einmal da wie dort einen sozialen und gesellschaftspolitischen Crash geben. Es gibt schon Berichte in den Medien, vor allem in den Funkmedien, laut denen die Kriminalität und die Gewalt in manchen Ländern, vor allem in Ballungszentren, unheimlich ausufert und ausartet. Es gibt Regionen, in denen Recht und Ordnung und Rechtsstaatlichkeit überhaupt nicht mehr gelten. Es gibt in südamerikanischen Städten No-go-areas für die Sicherheitskräfte, in denen die Kriminellen herrschen. Ich habe in einem Fernsehbericht über die zunehmende Gewalt auf der ganzen Welt einmal gesehen, wie in Rio de Janeiro sogar mit Maschinengewehren und Leuchtspurmunition über die Stadt geschossen wird. Die Sicherheitskräfte haben dort keine Chance mehr. Solche Verhältnisse wollen wir bei uns nicht haben!
Ich sehe ein, daß man Vergleiche ziehen kann, Sie werden aber auch einsehen müssen, daß solche Horizontalvergleiche an sich letztendlich nicht sinnvoll sind. Denn wenn man nichts gegen diese Fortentwicklung unternimmt, wird es letztlich in allen Ländern zu einer Situation kommen, die nicht mehr tragbar ist. Ich glaube, daß einzelne Länder sehr wohl etwas dagegen tun können. (Bundesrat Dr. Ludwig: Deshalb sind wir auch so erfolgreich im Vergleich zu anderen Ländern: Weil wir etwas tun!) Ich sage ja: Im Vergleich zu uns gibt es noch viel schlimmere Verhältnisse in anderen Ländern! Sie können aber auch einen Vergleich mit anderen Ländern, zum Beispiel im asiatischen Raum, anstellen, wo die Kriminalität eine viel geringere Ausbreitung hat. Ich nenne Ihnen das Beispiel Singapur. (Bundesrat Kone
#ny: Auf den Fidschiinseln ist es auch sehr ruhig!) Dieser Vergleich ist jetzt sehr weit hergeholt! Es waren aber sicherlich viele von Ihnen schon in Singapur. Dort können Sie sich das anschauen!Es sind jedenfalls gewisse Maßnahmen zu ergreifen, um das Weiter-um-Sich-Greifen der Kriminalität zu bremsen beziehungsweise diesem Phänomen Einhalt zu gebieten. Ich meine, daß die Sicherheitspolitik nicht das Alleinseligmachende sein kann. Ich glaube, das Phänomen der Kriminalität und ihrer Entwicklung ist vernetzt zu betrachten. Man muß bei der Erziehung und im Elternhaus beginnen. Es gibt Eltern, die ihre Kinder den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzen lassen. Schauen Sie sich die Programme an, die manche jungen Leute konsumieren: erschreckend! Schauen Sie sich an, was in den Videotheken zu haben ist, in denen Kinder Videos abholen. Sie können jetzt sagen: Das darf man ohnedies erst ab 18 Jahren. – Mein Gott! Da
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