Bundesrat Stenographisches Protokoll 630. Sitzung / Seite 67

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diesen Ländern, jedenfalls aber mit keinen Folgen, die dem europäischen Einigungsprozeß förderlich wären.

Ebenso ist natürlich auch auszusprechen, daß es angesichts der Situation auf dem westeuropäischen Arbeitsmarkt unvorstellbar ist, die Freizügigkeit von Arbeitskräften auch nur gegenüber den jetzt in den engeren Kreis der Beitrittskandidaten gezählten Staaten von einem Tag auf den anderen und in kurzer Frist aufzuheben. Die Begeisterung für das europäische Einigungsprojekt darf uns weder die Interessen dieser Länder noch – das in besonderem Maße – unsere eigenen Interessen übersehen lassen. Begeisterung darf nicht blind machen!

Deshalb ist die österreichische Außenpolitik gut beraten – sie tut es, das muß ich auch anerkennend dazu sagen –, keine falschen Zeitpläne zu nennen, keine falschen Erwartungen zu wecken, denn es war am Anfang tatsächlich so, daß eine Reihe "hochmögender" westeuropäischer Politiker die kürzestmöglichen Termine genannt und die zum Teil doch für einen von einem Vollbeitritt weit entfernten Partner ermutigenden Äußerungen gemacht hat.

Nein, morgen wird das alles nicht sein können. Wir werden in einer Strategie des schrittweisen Zusammenwachsens vorgehen müssen. Die heute geschlossenen Europa-Übereinkommen werden in den Jahren bis zum Beitritt weiterentwickelt werden müssen. Die Pre-accession-Strategy der Europäischen Union, die auch bedeutet, daß Mittel dorthin transferiert werden, muß intensiviert werden. Aber der Beitritt wird am Ende dieses Prozesses stehen, und manche Rechte, wie zum Beispiel die Freizügigkeit der Arbeitskräfte – das muß ganz offen ausgesprochen werden –, werden möglicherweise noch nicht mit dem Beitritt verbunden sein.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf den Gedanken von vorher zurückkommen. Wir sollten mit Sicherheit die besondere Rolle, die uns in der Europäischen Union auf Kenntnisebene zugemessen wird, erfüllen. Ich hoffe doch sehr, Frau Staatssekretärin, daß es möglich sein wird, diese Österreich zugeschriebene Rolle auch in Zusammensetzung der Task-force sichtbar zum Ausdruck zu bringen. Aber wir sollten uns nicht in die Rolle des Fachreferenten drängen lassen, denn das, was ich aufgezählt habe, sind Gesichtspunkte, die in erster Linie vom österreichischen Standpunkt aus in den Vordergrund zu rücken sind. (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Wecken Sie Kollegen Gstöttner auf! Er schläft!) – Kollege Gstöttner bewegt sich, was also beweist, daß er nicht schläft.

Die anderen Mitgliedstaaten, insbesondere jene an der Südflanke der Union, haben natürlich ein sehr viel größeres Interesse an anderen Fragen, die für Österreich nicht bedeutungslos sind, aber nicht so im Mittelpunkt stehen. Wir als Nettozahler haben besonderes Interesse daran, daß unser Beitrag nicht wächst. Ein Projekt, das zusätzliche Mittel erfordert, ist nicht vorstellbar. Ein Projekt, das von den Nettozahlern denselben Beitrag wie bisher abverlangt, ihnen aber weniger zurückgibt, ist auch nicht vorstellbar. Daher – das hat die Kommission zum Ausdruck gebracht – müssen wir die Haltung vertreten, daß die innerhalb der EU fließenden Transfermittel reduziert werden und mit diesen Mitteln geholfen wird, die doch sehr viel tiefergreifenden Einkommens- und Wohlstandsunterschiede zu den Beitrittsstaaten zu überbrücken.

Ich sage deshalb, wir sollten uns davor hüten, uns allzusehr in die Rolle des Fachreferenten drängen zu lassen, denn eines ist auch klar: Das sind keine angenehmen Wahrheiten, vor allem gegenüber den Beitrittsstaaten. Ich glaube, es wäre nur fair und gerecht, jene, die diesen Standpunkt vertreten, diesen Standpunkt auch selbst den Beitrittsstaaten ausrichten zu lassen. Die Rolle des Dolmetschers in dieser Hinsicht ist wenig attraktiv.

Das ist ein langer Katalog von Problemstellungen, die gelöst werden müssen. Das ist im Detail herunterzudeklinieren, das ist ganz konkret zu verhandeln. Da gibt es logische und legitime Interessen, denen man nicht in jedem Fall folgen muß. Aber so wenig uns die Begeisterung über das Zusammenwachsen des Kontinentes für diese realen Probleme blind machen darf, so wenig darf die Beschäftigung mit den realen Problemen die Perspektive verdunkeln. Das ist auch etwas, was die Menschen in unseren Nachbarstaaten von uns erwarten, nämlich daß wir unsere grundsätzliche Bereitschaft und unsere grundsätzliche Absicht klar zum Ausdruck brin


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