Bundesrat Stenographisches Protokoll 630. Sitzung / Seite 91

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24 Südtiroler Aktivisten gnadenhalber wieder in ihre bürgerlichen Rechte eingesetzt. In vielen Bereichen zeigt es sich, daß die von Österreich und Italien vor der UNO abgegebene Streitbeilegung die Situation zusätzlich entspannt und neue Impulse gegeben hat, Impulse für die Weiterentwicklung der Autonomie Südtirols und Impulse für die bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und Italien.

Vor dem Hintergrund der eingangs skizzierten positiven Entwicklungen der letzten Jahre möchte und muß ich meiner Empörung über die zum Teil revanchistische, zum Teil ignorante und realitätsverleugnende Haltung von ÖVP-Landeshauptmann Wendelin Weingartner und dem Innsbrucker ÖVP-Bürgermeister Herwig van Staa Ausdruck verleihen. Diese beiden Herren haben mit ihrem Versuch, die sogenannte "Dornenkrone" im Herzen von Innsbruck aufzustellen, nationalistischen und unverbesserlich revanchistischen Kreisen das Wort geredet, und zwar trotz warnender Stimmen aus der Südtiroler Landesregierung, die am besten weiß, daß mit der Aufstellung von revanchistischen Symbolen das Verhältnis zu Italien getrübt wird. Die Südtiroler Landesregierung, allen voran Landeshauptmann Durnwalder und sein Vorgänger Magnago, weiß ganz genau, daß von der Aufstellung der "Dornenkrone" nur die italienischen Neofaschisten in Südtirol profitieren würden.

Für diejenigen im Hohen Haus, die nicht wissen, was die "Dornenkrone" ist, hier ein kleiner Rückblick: 1984 wurde diese "Dornenkrone" von Südtiroler Schützen bei einem Landesumzug durch Innsbruck getragen. Schon damals war die "Dornenkrone" politisch umstritten. Die Südtiroler Regierungsstellen sprachen sich schon damals gegen die "Dornenkrone" aus: Diese sei eine unnötige Provokation des italienischen Staates. Nach dem Umzug verschwand die "Dornenkrone". Vor einigen Jahren wurde sie in einem Innsbrucker Bauhof wiederentdeckt, und plötzlich stand die Forderung im Raum, daß sie öffentlich aufgestellt werden müsse. Nur die breite, wochenlange öffentliche Kritik konnte Weingartner und van Staa dazu bewegen, die am 27. September 1997 geplante Aufstellung der "Dornenkrone" abzusagen. Einsichtig haben sich beide Politiker, Weingartner und van Staa, nicht gezeigt.

Der Zeitgeschichtler Michael Gehler hat als Kenner der Südtiroler Geschichte die Probleme der "Dornenkronen"-Diskussion aufgezeigt. Erstens hat sie die Unsensibilität der Tiroler Politik gegenüber Südtirol aufgezeigt. Zweitens ist sie angesichts der Bemühungen um eine Europaregion ein Ausdruck der Phantasielosigkeit durch den Griff in die Requisiten der Mottenkiste. Drittens besitzen die Südtiroler seit dem zweiten Autonomiestatut aus dem Jahre 1992 das Gesetz des Handelns. Seither haben sie das Optimale für ihr Land herausgeholt. Heute von Schmerz und Leid in Südtirol zu sprechen, kommt einer Lebenslüge gleich.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nun komme ich zu meinem zweiten Schwerpunkt, zum Thema Österreich und die NATO. Die ÖVP und ihr Obmann, Außenminister Schüssel, sind in NATO-Euphorie verfallen. Im Vorwort zum Außenpolitischen Bericht wird von Bundesminister Schüssel der EU-Erweiterungsprozeß unmittelbar mit jenem der NATO in Zusammenhang gesetzt. Soll das für Österreich heißen, daß seinem EU-Beitritt ein NATO-Beitritt zwingend folgen muß? Soll das heißen, daß alle zukünftigen EU-Mitglieder auch oder zuerst NATO-Mitglieder sein müssen?

Selbstverständlich muß Österreich als EU-Mitglied nicht der NATO beitreten. Die EU ist nicht mit der NATO gleichzusetzen. Die EU-Staaten versuchen im Rahmen der WEU, ihre Sicherheits- und Friedenspolitik zu gestalten. Wie das genau geschehen soll, steht noch nicht fest. Ich bin überzeugt, daß wir diesen Diskussions- und Gestaltungsprozeß innerhalb und außerhalb der EU abwarten sollten. Eines ist aber sehr wahrscheinlich: Das vereinigte Europa wird sich in seiner Sicherheits- und Friedenspolitik von den Vereinigten Staaten abkoppeln müssen. Die USA wird nicht für alle Ewigkeit unsere Aufgaben erledigen können.

Ich bin mir ganz sicher, daß die überwiegende Mehrheit der österreichischen Bevölkerung für einen raschen NATO-Beitritt nicht bereit ist. Für sie ist die NATO im Kern noch immer ein reines Militärbündnis. Unsere Neutralität ist mit einem Beitritt nicht vereinbar. Vor dem Beitritt zur EU haben wir immer wieder betont, daß Europa ein Friedensprojekt ist. Zum Aufbau eines Systems kollektiver Sicherheit bedarf es wirksamer Instrumente gesamteuropäischer Zusammenarbeit,


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