Bundesrat Stenographisches Protokoll 630. Sitzung / Seite 93

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Die regionale grenzübergreifende Zusammenarbeit, die heute schon beachtlich ist, wird dadurch weiter vertieft werden. Einige erblicken in der Vertiefung der Europäischen Integration und der wachsenden Bedeutung der Regionen gegensätzliche Entwicklungen, jedoch gibt es nichts, das weniger wahr wäre. In einem Europa, in dem sich die Grenzen immer mehr auflösen, ist gerade der regionale Kontext wesentlich für die Erfahrung der eigenen Identität – sei es im kulturellen, sprachlichen oder schulischen Bereich. Dies geschieht allerdings mit dem Wissen und in der Gewißheit, daß uns Europa unter einem gemeinsamen Dach Schutz bietet und sich der Aufgaben annimmt, die wir nicht allein bewältigen oder die auf europäischer Ebene besser gelöst werden können, wie die Gewährleistung der Sicherheit.

Aber wie definieren wir heute, 1997, den Begriff "Sicherheit"? – Bis 1989 bedeutete Sicherheit in erster Linie militärische Sicherheit. Diese Zeit liegt glücklicherweise hinter uns, doch sind andere komplizierte Herausforderungen für unsere Sicherheit an ihre Stelle getreten, auf welche die Antwort oft nicht einfach und nicht eindeutig ist. Sicherheit bedeutet im wesentlichen, daß wir auf Schutz gegen Gewalt und Kriminalität vertrauen, daß wir zum Beispiel auf einen gut funktionierenden, demokratischen Staatsapparat, auf eine wettbewerbsfähige Wirtschaft, auf eine gesunde Umwelt, soziale Einrichtungen und Beschäftigungsmöglichkeiten zählen können.

Das Vertrauen auf unsere Sicherheit beruht auf der Berechenbarkeit der Entwicklungen in unserem eigenen Umfeld und andernorts. In der EU besteht meiner Ansicht nach dieses Vertrauen auf Sicherheit, obwohl keineswegs Anlaß zur Selbstzufriedenheit besteht. In einigen Gebieten der Europäischen Union sind wir mit hoher Arbeitslosigkeit konfrontiert. Unsere Wachsamkeit ist immer wieder gefragt, um unsere gemeinsamen Werte zu wahren, zum Beispiel Rassismus und Fremdenfeindlichkeit entgegenzutreten, wo und wann immer sie auftreten mögen. Im Hinblick darauf verdient festgehalten zu werden, daß in Amsterdam beschlossen wurde, ein Europäisches Zentrum zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit einzurichten, das seinen Sitz in Wien haben wird.

An unseren Grenzen, ja fast vor unserer Haustür hingegen besteht das Vertrauen kaum oder gar nicht, bedenkt man die potentiellen inneren und äußeren Konflikte im Kosovo – ich erinnere nur an die heutigen Tageszeitungsberichte –, die mangelnde Achtung der Grundfreiheiten einschließlich der Pressefreiheit, die große Zahl von Flüchtlingen und die damit verknüpfte Frage der illegalen Einwanderung.

Meine Damen und Herren! Die Umwälzungen in Europa haben in gewisser Hinsicht auch eine Rückkehr der Geschichte mit sich gebracht. Konflikte, von denen wir glaubten, daß sie für immer der Vergangenheit angehört hätten, scheinen noch und wieder sehr aktuell zu sein. Ethnische Gegensätze, Minderheitenkonflikte und extreme nationalistische Tendenzen haben zur schrecklichen Tragödie im ehemaligen Jugoslawien geführt. Vukovar und Srebrenica – diese zwei Städte werden wegen der Greueltaten, die dort begangen wurden und deren Hauptverantwortliche leider nach wie vor auf freiem Fuß sind, für immer in unserem Gedächtnis bleiben.

Die Lage auf dem Balkan, vor allem in Bosnien-Herzegowina, ist noch längst nicht stabilisiert – das ist heute schon angesprochen worden – und wird auch in den kommenden Jahren ständige Aufmerksamkeit erfordern. Es handelt sich dort um ein Gebiet, das von künftigen Mitgliedstaaten der Union umgeben ist, sodaß die Entwicklung in diesem Raum uns in der Europäischen Union unmittelbar angeht.

Ich hatte vor 14 Tagen Gelegenheit, im Rahmen der Tätigkeit der OSZE in Belgrad als Wahlbeobachter der serbischen Parlamentswahlen zu fungieren und muß bedauerlicherweise feststellen, daß auch dort nach wie vor ein Unruheherd besteht, ja daß er sich sogar – wie Sie ebenfalls den heutigen Tageszeitungen entnehmen können – wesentlich verschärft hat. Auch dort fehlen nach wie vor Grundfreiheiten wie Pressefreiheit, ein demokratisches Wahlrecht oder ein demokratischer Wahlgerichtshof. Es ist zu befürchten, daß es dort nach der illegalen Absetzung des Belgrader Bürgermeisters Djindjic und infolge der sogenannten Tätigkeit der Hardliner Milosevic, Seselj und Vuk Draskovic zu einer Verschärfung der Lage kommen wird.


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