Bundesrat Stenographisches Protokoll 630. Sitzung / Seite 94

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Meine Damen und Herren! Diesen und anderen Herausforderungen für unsere Sicherheit können wir nur begegnen, wenn wir ein starkes, ein solidarisches Europa bilden. Wir müssen dem politischen Willen dazu Nachdruck verleihen, da die bipolare Welt von vor 1989 durch eine multipolare Welt abgelöst worden ist, in der die Europäische Union in der Lage sein muß, selbst für ihre Interessen, auch Interessen nichtökonomischer Art, einzutreten. Dabei können wir uns nicht auf eine rein deklaratorische Außenpolitik verlassen. Seit der Vereinbarung des Vertrages von Maastricht im Jahre 1991 sind große Anstrengungen unternommen worden, um die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU mit Inhalt zu erfüllen. Insoweit es sich um die Entwicklung langfristiger Strategien handelt, scheint dies durchaus zu gelingen. Die Erweiterungspolitik der EU – ihr liegen selbstverständlich geopolitische Erwägungen zugrunde – darf als erfolgreiches Beispiel gemeinsamen Handelns in der Außenpolitik angesehen werden.

Anders verhält es sich jedoch mit dem Auftreten der EU in aktuellen Krisensituationen. Die Union ist eindeutig noch nicht krisenerprobt, das ist eine durchaus berechtigte Kritik. Bekanntlich bestanden deutliche Meinungsunterschiede darüber, welcher Kurs während des Konfliktes im ehemaligen Jugoslawien verfolgt werden sollte. Diese Haltung hat uns lange zu Unschlüssigkeit und zum Zusehen verdammt, während gleichzeitig die Menschenrechte und das Völkerrecht mit Füßen getreten wurden. Albanien war meines Erachtens ebenfalls ein besonders geeigneter Fall, in dem die Europäische Union die ihr zur Verfügung stehenden Instrumente in vollem Umfang hätte anwenden können, ja müssen.

Meine Damen und Herren! In Amsterdam ist ein vorsichtiger weiterer Schritt auf dem Weg zur Einigung Europas zurückgelegt worden. An dieser Stelle möchte ich nicht ausführlich auf die Ergebnisse der Regierungskonferenz eingehen, aber einige Worte sind sicherlich angebracht.

Im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sind einige Fortschritte erzielt worden, was das Instrumentarium zur Vorbereitung und Durchführung politischer Entscheidungen angeht. So hat der Sicherheitsgeneralsekretär des Rates den Auftrag, der Außenvertretung mehr Beständigkeit zu verleihen und damit unserem auswärtigen Handeln mehr Sichtbarkeit und Kontinuität zu geben. Neben diesen beiden praktischen Verbesserungen, die auch zur Erzeugung des politischen Willens zum gemeinsamen Handeln beitragen sollen, verdient festgehalten zu werden, daß der neue Vertrag Formulierungen enthält, die auf eine stärkere Solidarität im Bereich der Sicherheit hinzielen.

Lassen Sie mich dafür einige Beispiele nennen. Die Wahrung der Integrität der EU ist eines der erklärten Ziele der GASP. Die Union macht ihr Bestreben deutlich, Frieden und internationale Sicherheit auch an den Außengrenzen aufrechtzuerhalten. Weiters ist im Bereich der äußeren Sicherheit unter anderem die Möglichkeit zu friedenswahrenden und friedenschaffenden Einsätzen, an denen sich alle Mitgliedstaaten beteiligen können, geschaffen worden.

Der Schwachpunkt ist und bleibt jedoch der Entscheidungsprozeß. Das Einstimmigkeitsprinzip herrscht weiterhin vor. Mitgliedstaaten können sich der Stimme enthalten und sind in diesem Fall nicht einmal verpflichtet, die getroffene Entscheidung umzusetzen.

Meine Damen und Herren! Es steht außer Frage, daß die Europäische Union nur dann erweitert werden kann, wenn gleichzeitig Regeln vereinbart werden, die auch bei einer Mitgliederzahl von 25 oder höher die Handlungsfähigkeit der Union aufrechterhalten. Institutionelle Anpassungen sind unumgänglich, wenn Entscheidungsverfahren nicht blockiert und eine engere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in so wichtigen Bereichen wie der äußeren und inneren Sicherheit erreicht werden sollen.

Meine Damen und Herren! Wer die europäische Geschichte kennt, begreift, daß die Einigung Europas eine historische Notwendigkeit ist. Mit ihr muß ein Schlußpunkt unter die anormale Zweiteilung in Ost und West gesetzt werden. Die Gegenwart begreifen heißt, sobald wie möglich die berechtigten Erwartungen unserer Nachbarn in Mittel- und Osteuropa zu erfüllen, indem wir sie in die EU aufnehmen – nicht allein, um ihre Zukunft zu sichern, sondern auch, um die unsere zu sichern.


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