Bundesrat Stenographisches Protokoll 631. Sitzung / Seite 72

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Ebenso sind angebliche bürokratische Hemmnisse kein plausibler Grund, daß nun weniger Lehrlinge ausgebildet werden als noch vor wenigen Jahren, denn Ende 1990 gab es österreichweit fast sechsmal mehr offene Stellen als Lehrstellensuchende, obwohl wir alle wissen, daß manche Bestimmungen und Ausbildungsvorschriften damals strenger waren als heute.

Des weiteren sind Aussagen nicht richtig, daß Lehrlinge pragmatisiert seien, daß Lehrverträge nicht vorzeitig gelöst werden können. 1996 wurden laut Wirtschaftskammerstatistik allein in Wien von insgesamt 16 783 aufrechten Lehrverträgen 2 889 – also 20 Prozent – vorzeitig gelöst.

Sachlich nicht nachvollziehbar ist die Behauptung, wonach der Zugang zur Ausbildungsberechtigung viel zu schwierig sei. Wenn heute jemand einen Lehrling ausbilden möchte, hat er 18 Monate Zeit, den Befähigungsnachweis nachzubringen. Alternativ zur Ausbilderprüfung kann die erforderliche Qualifikation dafür auch in einem 40stündigen Kurs erlangt werden.

Entschieden zurückweisen möchte ich die Einführung der Anlehre, wie das Kollegin Giesinger verlangt hat. Die Begrenzung auf nur wenige Tätigkeitsfelder in der Ausbildung ist für die künftigen Chancen der Jungen auf dem Arbeitsmarkt äußerst problematisch. Ich glaube, wir sollten eher einen anderen Weg gehen, und dieser lautet: Für uns ist das Fördern von jungen Menschen oberstes Prinzip. Wir lehnen eine negative Selektion der Jugend auf das entschiedenste ab!

In den letzten Jahren gingen vor allem auch dort Lehrstellen verloren, wo die Ausbildung besonders gut war, nämlich in der Industrie. Daher plädieren wir für mehr Lehrstellen durch neue Berufe. So müßte eigentlich auch die Herausforderung für alle Verantwortungsträger in Wirtschaft und Politik lauten. Die Unternehmer sollen die neuen Ausbildungsmöglichkeiten stärker nützen, um der Jugend neue Ausbildungsplätze in diesen neuen Berufen zur Verfügung zu stellen.

Die beruflichen Anforderungen haben sich in den letzten Jahren doch sehr stark geändert. Das wissen wir alle, das sollten wir aber nicht beklagen, sondern wir sollten die Chancen nützen. Gefragt sind nicht mehr enge Spezialqualifikationen, die jungen Menschen brauchen heute eine Ausbildung, die in mehreren Berufsfeldern anwendbar ist und somit ihre Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt in der Zukunft erhöht.

Als positives Beispiel darf ich die neuen Berufs- und Ausbildungsmöglichkeiten im EDV-Bereich und im Bereich der Telekommunikation anführen. Über neue Berufe, die derzeit noch zur Diskussion stehen – etwa Fertigungstechniker, Sonnenschutztechniker, Verwaltungsassistent, Bankkaufmann und Bankkauffrau, Tiefbauer, Recycling- und Entsorgungstechniker oder der von der Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe, persönlicher Dienst präsentierte Vorschlag für den Lehrberuf in der Systemgastronomie –, sollte bald positiv entschieden werden. Es dauert oft Jahre, um einen neuen Beruf zu kreieren und auch durchsetzen zu können.

Ich darf, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch auf die intensiven Bemühungen der Arbeiterkammern, der Gewerkschaften und des ÖGB, aber auch die der Wirtschaft und jene der Regierung – vor allem von Bundeskanzler Klima und von unserer Frau Bundesministerin Hostasch – verweisen. Sie zeigen die ersten Erfolge, lieber Herr Kollege Kaufmann! Sie könnten sich auch in Ihrem Bereich mehr engagieren! (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Kaufmann. )

Es gibt auch Unternehmer – ich werde Ihnen dann einige nennen –, die die Ausbildung tatsächlich ernst nehmen, ich kann Ihnen aber schon sagen, daß ich eigentlich vom Herrn Präsidenten der Wirtschaftskammer enttäuscht bin, der trotz seiner Lippenbekenntnisse bisher keinen Lehrling zusätzlich zu seinen bisher zwei Lehrlingen eingestellt hat. Ich glaube, daß politisch verantwortliche Interessenvertreter auch in einer Vorbildfunktion an die Öffentlichkeit treten sollten.

Diese Bemühungen schlagen sich auch in den Arbeitsmarktdaten nieder: So ist insgesamt die Zahl der Beschäftigten im Vergleich zum September des Vorjahres um fast 11 000 gestiegen, und erfreulicherweise – darauf können wir alle stolz sein – sinkt die Jugendarbeitslosigkeit der 15- bis 25jährigen in Österreich weiter. Wenn auch die Dynamik auf dem Lehrstellenmarkt im September gestiegen ist, reicht sie doch noch nicht aus, um alle Lehrstellensuchenden unterzubringen, obwohl es im Vergleich zum Vorjahr um zirka 2 000 Lehrlinge mehr gibt. Österreichweit suchen jedoch immerhin noch 4 000 bis 5 000 Burschen und Mädchen nach einer Lehrstelle.


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