Bundesrat Stenographisches Protokoll 632. Sitzung / Seite 126

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Als nächstem erteile ich Herrn Bundesrat Karl Drochter das Wort. – Bitte.

17.54

Bundesrat Karl Drochter (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren des Bundesrates! Ich glaube, daß die "Agenda 2000" ein Situations- und Zustandsbericht ist, der wichtig ist, um die Verhandlungen mit unseren Nachbarländern in Ost- und Mitteleuropa beginnen zu können. Die "Agenda 2000" stellt die Empfehlung der Europäischen Kommission zu einer Erweiterung der EU um die ehemaligen osteuropäischen Nachbarländer sowie den daraus folgenden Reformen in der EU-Politik dar. Diese Formulierung zeigt schon, daß Handlungsbedarf gegeben ist – auf nationaler und auch europäischer Ebene.

Die Analyseergebnisse basieren auf recht detaillierten Beschreibungen der politischen und wirtschaftlichen Lage in den Reformstaaten, einer Bewertung des Niveaus der Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes und der Beurteilung der jetzigen Fähigkeiten der Beitrittsländer, diese auch in der Folge umzusetzen. Ich begrüße daher grundsätzlich eine weitere Integration der mitteleuropäischen Länder in die EU als wesentlichen Beitrag zu einem friedlichen und stabilitätsorientierten Europa, das wiederum die Basis für einen europäischen Sozialraum darstellen wird.

Auch bei einer positiven Beurteilung einer Erweiterung dürfen die Probleme und die Anpassungsschwierigkeiten, die sich aufgrund der unterschiedlichen Entwicklungsniveaus der Beitrittskandidaten und der Mitgliedstaaten ergeben, nicht unterschätzt werden. Aufgrund der geographischen, kulturellen und historischen Nähe ist Österreichs Betroffenheit von einer Erweiterung besonders groß. Der gesamte heimische Arbeitsmarkt ist betroffen, besonders jedoch die Grenzregionen in Oberösterreich, Niederösterreich, dem Burgenland und auch der Steiermark. Ebenso wirken sich die bestehenden Niveauunterschiede zwischen Sozial- und Umweltstandards in den benachbarten Regionen stärker auf die künftige Wettbewerbsfähigkeit aus.

Ich habe eingangs schon gesagt, daß es sich um einen Befund, um einen Situationsbericht, handelt. Ich möchte daher nicht darauf verzichten, auch den einen oder anderen kritischen Punkt anzumerken. So bleiben in der "Agenda 2000" die Folgen einer Erweiterung für die einzelnen Mitgliedstaaten in der Gesamtdarstellung völlig unbeleuchtet. Die finanzielle Machbarkeit der "Agenda 2000" ist auf der ihr zugrunde liegenden Wachstumsprognose mit äußerster Vorsicht zu beurteilen. Die Nettozahlerposition Österreichs würde sich sowohl durch die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Ausnutzung der vorgesehenen Eigenmittelobergrenze als auch aufgrund der zu erwartenden geringeren Rückflüsse aus den Strukturfondsmitteln erheblich schwieriger gestalten. Schon aufgrund dieser grundsätzlichen Kritik an der Stellungnahme der EU-Kommission sehen wir einen erheblichen Handlungsbedarf für unsere Regierung, aber auch für die EU selbst.

Nun einige Anmerkungen zur sozialen Dimension der Osterweiterung. Ich bin grundsätzlich der Meinung, daß diese soziale Dimension eine vorrangige Rolle zu spielen hat. Die Einführung des europäischen Sozialmodells muß die Grundlage jeder Heranführungsstrategie der Beitrittsländer bilden. Ich habe schon am Montag im Ausschuß gesagt, daß ich der Meinung bin, daß neben den Kopenhagener Kriterien – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Marktwirtschaft, Wettbewerbsfähigkeit – noch ein zusätzliches soziales Kriterium in die Prüfung der Beitrittsfähigkeit dieser Länder Eintritt finden muß, da es nach meinem Dafürhalten unverzichtbar ist.

Die Übernahme der sozialen Mindeststandards der EU stellt die absolute Mindestanforderung an die Beitrittskandidaten dar.

Die Kommission soll als Grundlage für die Erweiterungsdiskussion ein Weißbuch zur sozialen Lage und zur Sozialpolitik der Beitrittskandidaten erarbeiten. Auch das ist, wie ich meine, eine berechtigte Forderung.

Einige Anmerkungen zur Einführung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und zur Beschäftigungspolitik: Die Einführung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer darf keine negativen Auswirkungen auf den österreichischen Arbeitsmarkt haben. Freizügigkeit ist nur bei einer relativen Angleichung des Lohnniveaus und Aufbau vergleichbarer sozialer Schutzniveaus zwischen den


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