Bundesrat Stenographisches Protokoll 632. Sitzung / Seite 133

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Es stellt sich somit schlicht die Schlüsselfrage, welche Identität der europäischen Landwirtschaft künftig zugedacht werden soll, und unsere österreichische Antwort darauf ist eindeutig: Wir wollen keine Renationalisierung der Agrarpolitik, weil damit neuerlich eine Konkurrenzsituation zu wirtschaftlich und strukturell bessergestellten Ländern eintritt, wir wollen aber, daß die multifunktionale und nachhaltige Aufgabenstellung einer flächendeckenden bäuerlichen Landwirtschaft, wie sie in Österreich existiert, als Leitbild für die EU-Landwirtschaft Anwendung findet, auch mit Rücksicht auf Umwelt- und Tierschutzanliegen. Wir wollen im Kontrast zum liberalistischen Modell, daß der Kommission in der "Agenda 2000" vorschwebt, eine europäische Landwirtschaft, die auf die Zusammenhänge von Mensch, Agrarproduktion, ländlichen Regionen, Beschäftigung und die Rolle Europas auf dem Weltmarkt Rücksicht nimmt.

Wir hoffen daher, daß bei dem am 12. und 13. Dezember in Luxemburg tagenden Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs die Notwendigkeit der Definition eines eigenständigen Modells der europäischen Landwirtschaft auch im Sinne der heutigen Entschließung Rechnung getragen und diese anerkannt wird, denn in der vorliegenden Form sind die Vorstellungen der Kommission nicht verkraftbar und daher auch unakzeptabel.

Um Ihnen eine Vorstellung zu geben, meine Damen und Herren: Die in der "Agenda 2000" vorgeschlagene Senkung der institutionellen Agrarpreise für Getreide um 20, für Rindfleisch um 30 und für Milch um 10 Prozent würde aufgrund der bisherigen Erfahrung der heimischen Landwirtschaft und Verarbeitungsindustrie auf dem Binnenmarkt voll auf die Erzeugerpreise durchschlagen. Die Erlöse würden gemäß der "Agenda 2000" unter den strukturellen und natürlichen Produktionsbedingungen, die in Österreich nun einmal Realität sind, die variablen Kosten in der heimischen Agrarproduktion nicht mehr decken. – Mit verheerenden Folgen!

Bei einer Bewertung der Vorschläge der Kommission durch die Experten wurde festgestellt, daß wir im Bereich der österreichischen Landwirtschaft bei voller Umsetzung der vorliegenden "Agenda 2000" in Summe für die Märkte Getreide, Ölsaaten, Milch, Milchprodukte und Rinder 1,6 Milliarden Schilling jährlich gegenüber dem derzeitigen Stand verlieren würden. Da sind die zusätzlichen Ausgleichszahlungen und Prämien bereits gegengerechnet.

So, meine Damen und Herren, geht es nicht! So kann die "Agenda 2000" nicht umgesetzt werden!

Auch deshalb ist es wichtig, daß wir ebenso aktiv wie konstruktiv als Mitbeteiligte und Mitbetroffene die neuen Weichenstellungen, um die es bei den Beratungen des europäischen Rates im Dezember geht, nun beeinflussen sowie glaubhafte und perspektivische Lösungen einbringen können.

Daher ersuche ich Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, zum vorliegenden Entschließungsantrag im Wissen um die Mitverantwortung (Bundesrat Dr. Tremmel: Es liegen zwei vor, Herr Kollege!), die wir als zweite Kammer dieses Parlaments im Rahmen unserer selbständigen Mitwirkung in EU-Angelegenheiten bewußt eingefordert haben, um Ihre Zustimmung. Ich bitte Sie auch, den Entschließungsantrag der Freiheitlichen Partei abzulehnen, weil er nicht auf die "Agenda 2000" eingeht und jene Punkte, die die "Agenda 2000" betreffen, in unserem Entschließungsantrag enthalten sind, darüber hinaus eine Vermischung des Vertrages von Amsterdam beinhaltet und, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Wirtschafts- und Währungsunion in der dritten Stufe nicht Gegenstand der "Agenda 2000" ist. (Bundesrat Weilharter: Sie haben Berührungsängste, Herr Kollege! Sagen Sie es offen!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als abgetrenntes Organ einer großen Gemeinschaft charakterisierte der überzeugte Europäer Richard Coudenhove-Calergi in den frühen Jahren dieses Jahrhunderts sein und unser Heimatland. Jetzt am Ende dieses Jahrtausends tut sich nach einer Epoche der Gewalt und des Leidens ein neuer Horizont auf, die historische Chance, in einer großen Gemeinschaft organisch und nachbarschaftlich in Frieden und Freiheit eingebettet zu sein. Nützen wir daher diese Chance, weil sie vielleicht einmalig ist! Nützen wir sie in Verantwortung für unser Land und für die Zukunft unserer Kinder und auch Enkelkinder! Handeln wir als verantwortungsbereite und verantwortungsfähige Europäer!


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