Bundesrat Stenographisches Protokoll 634. Sitzung / Seite 57

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fend diskutiert wird, skizzieren. Als Eckpunkte – nicht vollständig und vielleicht auch nicht für jeden einsichtig – möchte ich folgende nennen: an der Spitze die Wertorientierung, die Praxisbezogenheit, die Internationalität, die Vielgestaltigkeit, ein Bildungssystem, das Wettbewerb zuläßt, ein Bildungssystem, das mit dem Faktor Zeit vernünftig umgeht.

Zu den einzelnen Punkten. Wertorientierung: Bildung darf sich nicht nur auf die Vermittlung Wissen beschränken. In abgewandelter Form haben wir es heute auch schon mehrfach gehört. Zur Persönlichkeitsbildung gehören eben neben Kritikfähigkeit, Sensibilität und Kreativität auch das Vermitteln von Werten und sozialen Kompetenzen. Dabei denke ich an Vermittlung von Tugenden, die zwar altmodisch klingen, aber bei Gott nicht altmodisch sind: Verläßlichkeit, Pünktlichkeit und Disziplin, vor allem aber Respekt vor dem nächsten und die Fähigkeit zur menschlichen Zuwendung. Wir brauchen also den Mut, erzieherische Werte wieder offensiver in unseren Unterricht einzubauen. Wir müssen uns darauf besinnen, daß man Leistung nicht fördern kann, wenn man sie nicht auch fordert. (Beifall bei der ÖVP und bei den Freiheitlichen.) Das setzt freilich das Bewußtsein voraus, daß es im Leben ohne Anstrengung nicht geht.

Zur Praxisbezogenheit: Mich beunruhigt, daß 5 Prozent der Lehrstellenbewerber nicht ausbildungsfähig seien, weil ihnen die erforderlichen Kenntnisse in Lesen, Schreiben und Rechnen fehlen. Mich beunruhigt, daß ein beträchtlicher Teil unserer Hochschulabsolventen keinen ihrer Ausbildung entsprechenden Arbeitsplatz findet, vornehmlich Geisteswissenschaftler, Soziologen, Psychologen. Bei der heutigen Spezialisierung von Wirtschaft und Verwaltung kann keine Ausbildung alles vermitteln, aber gerade deshalb darf die Bildungsphase doch nicht vollständig von der Lebenswirklichkeit abgekoppelt werden. Das soll nicht heißen, daß noch mehr stofflicher Inhalt auf unsere Schüler zukommt, sondern das Wesentliche konzentriert als breites Grundwissen vermittelt werden muß, egal, ob die Schüler und Studenten später Rechtsanwälte, Ärzte, Techniker oder Facharbeiter werden wollen.

Ich erwarte mir von der Einführung des Faches Berufsorientierung, das wir heute beschließen werden, einen kräftigen Impuls in diese Richtung. Dafür brauchen wir die persönliche Flexibilität der Lehrer, um die ich Herrn Kollegen Meier jetzt auch noch von dieser Stelle aus bitte, und der Schüler, aber auch vermehrte Flexibilität im Schulalltag. Wir müssen uns fragen: Sind unsere Lehr- und Ausbildungsplätze aktuell und zeitgemäß für die Praxis?

Das eigentliche Problem liegt darin, daß Veränderungen in der Berufswelt heute hundertmal schneller verlaufen als die Anpassung und Formulierung zeitgemäßer Berufsbilder. Viele der boomenden Dienstleistungsbereiche haben bei uns keinen definitiven Ausbildungsweg, und so müssen sich viele Jugendliche mit einem "training on the job" begnügen, und das in Zukunftsbranchen. Wenn wir nicht wollen, daß unser Ausbildungssystem zum Auslaufmodell wird – ich habe keine Sorge, daß es so weit kommt –, müssen wir unsere Ausbildungsordnungen permanent modernisieren. Wir können es uns nicht mehr leisten, daß jährlich Tausende hochintelligente Menschen am Arbeitsmarkt vorbei ausgebildet werden.

Ich komme zum dritten Eckpunkt, zur Internationalität. Ich bitte um Ihr Verständnis, wenn meine Ausführungen etwas länger werden, als Vorsitzende des Unterrichtsausschusses glaube ich, dazu legitimiert zu sein.

Die Internationalität: Alle unsere Ausbildungsstätten sind gefordert, sich noch mehr als bisher der Welt zu öffnen. So müssen wir schon früh die wichtigsten Sprachen der Welt lehren. Sprachen lernt man am effektivsten in ganz jungen Jahren.

Frau Ministerin Gehrer hat bei der vorhin genannten Tagung wörtlich ausgeführt: Unser Ziel ist es mittelfristig, eine lebende Fremdsprache auch ab der ersten Klasse Volksschule an allen Standorten anzubieten. In Tirol werden derzeit etwa 1 000 Schülerinnen und Schüler nach diesem Modell unterrichtet. – Zitatende.

Wir müssen bei unseren Reformen nicht das Rad neu erfinden. Oft genügt ein Blick auf das, was längst internationaler Standard ist. Ohne klaren Blick voraus kann man aber schnell den Anschluß an diese Standards verlieren.


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