Bundesrat Stenographisches Protokoll 634. Sitzung / Seite 58

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Der vierte Punkt wäre Vielgestaltigkeit. Wir haben ein vorbildlich gegliedertes Schulsystem, nutzen diese Vielfalt aber zuwenig. Wir müssen uns ehrlich fragen: Welche Schule sichert dem Kind die beste Förderung? – Das ist nicht immer die Schule mit dem höchsten Abschluß. Das Image der Hauptschule muß enorm aufgewertet werden, weil es gerade diese Schule ist, die für viele Berufe qualifizieren muß. Wenn ich auch hier die Ressortleiterin zitieren darf: 80 Prozent der Maturanten kommen immer noch aus den Hauptschulen. – Für die positive Aussage dazu bedanke ich mich auch noch bei Frau Mühlwerth.

Wir sollten wieder den Mut finden, gute und schlechte Schüler als "gut" und "schlecht" zu nennen, wobei uns dies aber besonders verpflichtet, beide Gruppen optimal zu betreuen. Eine Forderung nach mehr Differenzierung betrifft auch die Hochschulen. So sind heute schon Hochschulabsolventen mit zuwenig verwertbarem Wissen für die Berufspraxis ausgestattet.

Ich erinnere mich an eine Aussage des Generaldirektors von Siemens, der uns anläßlich einer Besichtigung erzählt hat, ihm täten die vielen Bewerber immer leid, die sich bei ihm um einen Posten bewerben, die in kürzester Zeit mit besten Zeugnissen ausgestattet kommen, wo er aber dann fragen muß: Wo haben Sie Auslandspraxis gemacht? Welche Befähigungen haben Sie noch? – Die Studenten müssen dann sagen: Ich habe studiert. – Es ist sehr schwierig, diesen Leuten dann zu sagen: Das ist es nicht, was wir brauchen!

Ich habe in letzter Zeit einmal in einem Beitrag im Fernsehen gesehen, daß man inzwischen schon dazu übergegangen ist, zu reagieren. Zum Beispiel werden jetzt an der Wirtschaftsuniversität Lehrveranstaltungen in Chinesisch angeboten. Ich erinnere mich daran, daß meine Tochter Sinologie studiert hat und zur Kenntnis nehmen mußte, daß mit Sinologie allein "kein Krieg zu gewinnen" ist. Sie mußte dann eine eineinhalbjährige Marketingausbildung machen und hat heute in einem Betrieb eine Stelle gefunden, die sie unter 122 Bewerberinnen bekommen hat. Also Zusatzausbildungen sind einfach notwendig.

Der fünfte Eckpunkt: ein Bildungssystem, das Wettbewerb zuläßt. Es steht unter dem Motto: Wenn wir mehr Spitzenleistungen wollen, müssen wir die Unterschiede in den Leistungen transparenter machen. Geben wir den Schulen wieder mehr Verantwortung zurück! Warum scheuen wir den Vergleich, warum scheuen wir uns, Wettbewerb zu fördern? – Es ist nicht angenehm, aber es ist in anderen Ländern auch der Fall. Wir müssen Qualitätsunterschiede transparent machen und dafür sorgen, daß gute Leistungen belohnt und schlechte durch vielfältige Maßnahmen verbessert werden.

Nun zum sechsten Eckpunkt – auch davon ist heute schon die Rede gewesen –: ein Bildungssystem, das mit dem Faktor Zeit vernünftig umgeht. Menschen, staatliches Geld und Ausstattung werden auch in Zukunft hohe Priorität haben. Das wichtigste Kriterium ist aber der Faktor Zeit, die Zeit der Lehrer, die durch Überlastung und zuviel Bürokratie behindert werden, die Zeit der Schüler und Studenten, die in ihren besten Jahren daran gehindert werden, Gelerntes so schnell anzuwenden, daß sie aus ersten Erfolgen großes Selbstvertrauen gewinnen können. Das ist das Kriterium.

Da die Ausbildungsdauer bei uns überall zu lang ist, sind alle Seiten aufgefordert, mit der Zeitverschwendung Schluß zu machen. So liegen schon im Vorschulalter Begabungen brach, weil viele Kinder in den prägnantesten Lebensjahren nicht hinreichend gefördert werden und wurden. Kurz gesagt: Schaffen wir ein Bildungswesen, das Leistung fördert, niemanden ausschließt, Freude am Lernen vermittelt und selbst als System kreativ und entwicklungsfähig ist.

Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Gestatten Sie mir, noch eine wichtige bildungspolitische Initiative zu erwähnen, nämlich die Hochbegabtenförderung. Der Ihnen allen bekannte Zielparagraph der österreichischen Schulgesetzgebung – ich meine § 2 Abs. 1 Schulorganisationsgesetz – lautet etwas gekürzt: Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend durch einen ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungsweg entsprechenden Unterricht mitzuwirken. Sie hat die Jugend zum selbständigen Bildungserwerb zu erziehen. – Zitatende.


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