Bundesrat Stenographisches Protokoll 634. Sitzung / Seite 67

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Daten, die den erwünschten Entlastungseffekt bewirken? – Steht doch längst außer Streit, daß die Höhe des Streitwertes weder die subjektive Bedeutung des Prozeßgegenstandes für die Parteien noch gar den objektiven Schwierigkeitsgrad der Problemlösung verläßlich widerspiegelt.

Ich widerstehe der Versuchung, mir die Aussage des ehemaligen Justizsprechers der ÖVP, Herrn Rechtsanwalt Dr. Michael Graff, zu eigen zu machen, daß man künftig offenbar von einer Gerichtsbarkeit "für die Reichen" sprechen müßte. Bei allem Verständnis für die gebotene Entlastung des Obersten Gerichtshofes – im Zuge unserer dringlichen Anfrage im Oktober dieses Jahres habe ich als einziger Debattenredner neben der notorischen Überlastung des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes auch eine solche des Obersten Gerichtshofes voll anerkannt – erscheint mir aber dennoch die mit der vorliegenden Wertgrenzen-Novelle 1997 getroffene Maßnahme nicht als geglückt.

Hier bedürfte es vertiefter Überlegungen, die zwischen den Zielvorstellungen, ausreichende Entlastung des Obersten Gerichtshofes zur Wahrung seiner Rechtsprechungsqualität einerseits und dem sozial angemessenen Zugang des rechtssuchenden Bürgers zu seinem Recht unter Gewährleistung einer bundesweit einheitlichen Rechtsprechungspraxis andererseits zur ausgewogenen Synthese zu finden verhilft. Vermutlich wird man diese Überlegungen hinkünftig nicht mehr dem Obersten Gerichtshof als vom Problem unmittelbar Betroffenen allein überlassen dürfen.

Ganz allgemein erlaube ich mir noch eine weitere Bemerkung: Im Ergebnis befürchte ich, daß die für den Obersten Gerichtshof erreichte Entlastung lediglich zu einer Umschichtung des Mehranfalls auf die Rechtsmittelgerichte zweiter Instanz führen wird. Bei diesen wird daher eben jene Vermehrung von Planstellen geboten sein, die der Herr Bundesminister in bezug auf den Obersten Gerichtshof mit guten Gründen abgelehnt hat.

Auf dieses Problem deutet auch der vom Justizausschuß des Nationalrates beschlossene Entschließungsantrag hin, die weitere Entwicklung der Belastungssituation beim Höchstgericht und bei den Berufungsgerichten zu beobachten und darüber zu berichten. Ich greife hier bewußt nicht die im Nationalrat geäußerte Wendung von einem "Antrag des schlechten Gewissens" auf, aber Skepsis und Zweifel an der jetzt getroffenen Lösung leuchten aus diesem Antrag zweifellos hervor.

Erlauben Sie mir zuletzt ein ceterum censeo, das ich bereits in zahlreichen Stellungnahmen zu Zivilverfahrensnovellen in den letzten 15 Jahre angemerkt habe. Im Gegensatz zu den tragenden Rechtsberufen, Anwaltschaft einerseits und Richterschaft andererseits, ermangelt es gerade einer Gruppe, und zwar der hauptbetroffenen, an jeglicher Interessenvertretung. Ich meine damit das rechtssuchende Publikum, das freilich nicht entsprechend organisierbar ist.

Die Rechtslehrer des Zivilgerichtlichen Verfahrens haben es stets als ihre vornehme Aufgabe angesehen, mangels Eigeninteresses und kraft ihrer Sachkompetenz, diese Anliegen – sie sind zugleich jene einer sachgerechten Ausgestaltung der Rechtspflege und des Verfahrensrechts – selbst zu vertreten. Wie auch im Fall der vorliegenden Wertgrenzen-Novelle 1997 hat sich allerdings ihr Gewicht als politisch zu unerheblich erwiesen. Da ich hier und heute als Mandatar nichts anderes kritisiert habe als in meinen fachlichen Stellungnahmen als akademischer Lehrer, erklärt sich daraus, daß ich dieser Vorlage alles in allem nicht zustimmen kann und daher auch meiner Fraktion die Ablehnung empfehlen muß. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

13.20

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Dr. Milan Linzer das Wort. – Bitte.

13.20

Bundesrat Dr. Milan Linzer (ÖVP, Burgenland): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hohes Haus! Kollege Böhm hat sich heute wirklich ernsthaft bemüht, wieder als sogenannter Insider de facto eine Vorlesung über eine Materie zu halten, die


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