Bundesrat Stenographisches Protokoll 636. Sitzung / Seite 127

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Lange Jahre hat man geglaubt, mit der Begleitung durch Psychotherapie sei alles getan. Wie viele Fälle gibt es, bei denen man der Meinung war, durch die psychotherapeutische Betreuung sei der Täter geheilt? – Der Täter wurde früher freigelassen, und die Folge davon war, daß wieder ein Toter oder ein Mißbrauchter zu beklagen war. Das kann es wohl nicht sein. Da ist das Risiko zu groß. Wie erklären Sie einem mißbrauchten Kind oder den Eltern eines getöteten Kindes, daß der Täter eben leider unter die Risikoquote gefallen ist? – Ich meine, daß das nicht richtig ist, und es ist daher völlig in Ordnung, wenn wir Freiheitlichen verlangen, daß der Täter bei solch gräßlichen Taten auch tatsächlich ein Leben lang als Schutz vor der Gesellschaft eingesperrt bleibt.

Zum Schluß möchte ich auf die begleitende Therapie der Opfer eingehen, die natürlich auch notwendig ist, denn auch die Opfer können diese Leiden ohne psychologische Betreuung überhaupt nicht bewältigen. Es ist nicht so, daß es mit der Verurteilung und dem Wegsperren der Täter alleine getan ist. Wir wissen, daß sie auch trotz Therapie nie zu 100 Prozent geheilt werden können. Therapieplätze für Kinder, die selbstverständlich kostenlos sein müssen – in der Schweiz gibt es einen eigenen Fonds dafür, daß mißbrauchte Kinder kostenlos therapiert werden können –, gibt es natürlich nicht in ausreichendem Maße.

Am 4. März 1997 hat der "Kurier" berichtet, daß die Medienberichte über Kindesmißbrauch und Kindesmißhandlung die Bevölkerung aufgerüttelt haben und daß es Gott sei Dank immer mehr Betroffene wagen, sich gegen das ihnen zugefügte Leid zu wehren. Nur decke diese positive Entwicklung einen schwerwiegenden Mangel auf, denn es gebe viel zu wenig kostenlose Therapieplätze für die Opfer von Gewalt. Es heißt weiter: Die Situation ist katastrophal. – So dramatisch beschreibt Frau Marion Gebhart die Lage. Wartezeiten von bis zu vier Monaten seien keine Seltenheit.

Die meisten Opfer können sich die Psychotherapie auf eigene Rechnung nicht leisten. Die Zuschüsse der Krankenkassen sind ein Witz. Das wissen wir ohnehin, und daher meine ich, daß auch in dieser Frage dringend etwas getan werden muß.

Herr Minister! Wenn Sie es mit Ihren Ankündigungen wirklich ernst meinen und es nicht noch ein weiteres Jahr oder noch länger bei einer reinen Ankündigungspolitik bleiben soll, dann handeln Sie bitte zum Wohle dieser mißbrauchten Kinder, und zwar rasch! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

17.40

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Vincenz Liechtenstein. Ich erteile es ihm.

17.40

Bundesrat Dr. Vincenz Liechtenstein (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Kollege Dr. Milan Linzer wird als aktiver Jurist später zu speziellen Dingen Position beziehen. Ich werde mir erlauben, mich zu allgemeinen Positionen und Notwendigkeiten zu äußern.

Der Rechtsstaat ist eine Voraussetzung der Freiheit und auch der Sicherheit. Ziel der Rechtspolitik muß die Bewahrung und Stärkung des demokratischen Rechtsstaates sein. Das Rechtsbewußtsein der Bürger sowie der Konsens und die Akzeptanz über die Grundwerte unseres Staates und die Akzeptanz des Rechtes sind seine Grundlagen. Deshalb betrachten wir von der ÖVP es auch als Aufgabe der Rechtspolitik, alle vom Wert und von der Unverbrüchlichkeit des Rechts zu überzeugen. Rechtsstaatlichkeit ist nur möglich, wenn jeder die Freiheit und die Rechte seiner Mitmenschen und die Gemeinschaftsbezogenheit des Rechtes anerkennt und achtet. Das Recht gewährleistet nicht nur Gestaltungsspielraum für den Bürger, es muß ihn notwendiger Weise auch begrenzen.

Die rechtsstaatlichen Verfahrensordnungen müssen der Gerechtigkeit und dem Rechtsfrieden dienen. Sie sind dazu da, Entscheidungen herbeizuführen, nicht zu verhindern. Wo Verfahrensneuregelungen zum formalen Selbstzweck werden, nicht dem Ziel einer gerechten Entscheidung dienen, sondern zur rücksichtslosen Durchsetzung von Individualinteressen mißbraucht werden,


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