Bundesrat Stenographisches Protokoll 636. Sitzung / Seite 131

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

Opfers weiter gestärkt werden. Auf dessen berechtigte Interessen ist jedenfalls Bedacht zu nehmen. Maßnahmen der Diversion sollen in besonderer Weise die Interessen des Verletzten, also der von der Rechtsgutbeeinträchtigung betroffenen Person, wahren. Der Verletzte soll sich – unabhängig von seiner allfälligen Stellung als Privatbeteiligter – aktiv an der diversionellen Verfahrenserledigung beteiligen können.

In Bemühungen um einen außergerichtlichen Tatausgleich ist der Verletzte, sofern er dazu bereit ist, stets einzubeziehen. Vor einem Verfolgungsverzicht ist der Verletzte zu hören, sofern dies nach Maßgabe seiner Interessen erforderlich ist. In diesem Zusammenhang soll es künftig daher auch möglich sein, dem Verdächtigen solche spezifisch opferbezogenen Verpflichtungen oder Auflagen als Voraussetzung für eine vorläufige Verfahrensbeendigung aufzuerlegen, die im Falle eines Schuldspruchs als Weisung ausgesprochen werden könnten, wie beispielsweise Kontakte zu der von der Straftat betroffenen Person zu unterlassen – damit ist auch eine Forderung von Bundesrätin Riess-Passer erfüllt – oder sich anstelle der Schadensgutmachung, wenn diese etwa von dritter Seite erfolgt, um einen sonstigen Folgenausgleich zu bemühen, wobei die verletzte Person von einer Verpflichtung oder Auflage, die unmittelbar ihre Interessen berührt, zu verständigen ist.

Der Entwurf sieht auch vor, daß das Bundesministerium für Justiz aus voraussichtlich zu erzielenden Mehreinnahmen nach dem Vorbild der Haftentlassenenhilfe Einrichtungen der Opferhilfe fördert. Dabei sollen insbesondere auch Einrichtungen unterstützt werden, die sich der Betreuung von minderjährigen Opfern oder von Personen, die in ihrer Geschlechtssphäre verletzt wurden, widmen.

Mit der umfassenden Neugestaltung des strafprozessualen Vorverfahrens soll schließlich, wie das Bundesministerium für Justiz in der Broschüre "Das neue Strafrechtsprozeßordnungs-Vorverfahren" ausgeführt hat, eine weitergehende Aufwertung der Rechtsstellung des Verletzten verbunden sein. Sie soll vor allem nicht von der Geltendmachung ihres materiellen Schadenersatzanspruches abhängig sein.

Darüber hinaus sollen dem Opfer über die nach der derzeitigen Rechtslage dem Privatbeteiligten zustehenden Rechte hinaus weitergehende Informations- und Parteirechte, also Anspruch auf Belehrung über seine Verfahrensrechte, Akteneinsichtsrecht, Teilnahmerecht an unwiederholbaren Beweisaufnahmen und ähnliches, eingeräumt werden. Angestrebt werden soll ferner die Einrichtung einer Opferanwaltschaft zur umfassenden Sozialberatung von Opfern von Straftätern.

Nach dieser ausführlichen Darstellung gestatten Sie mir die Feststellung, daß aufgrund der von mir skizzierten, im letzten Jahrzehnt vorgenommenen positiven Veränderung im Strafrecht keine Rede davon sein kann, daß dieses Strafrecht aufgeweicht wurde oder dabei der Opferschutz gar nur zweitrangig wäre. Vielmehr geht es doch darum, die positiven Erfahrungen beim außergerichtlichen Tatausgleich im Bereich der Jugendgerichtsbarkeit nunmehr auch im Erwachsenenbereich zu ermöglichen und somit dazu beizutragen, daß eine Wiedergutmachung durch den Täter möglich wird und den Opfern unmittelbar zugute kommen kann.

Bemerkenswert ist der Umstand – gestatten Sie mir, auch darauf besonders hinzuweisen –, daß die seit 1983 praktizierte Strafrechtspolitik in unserem Land von den Freiheitlichen im wesentlichen, insbesondere aber vom ehemaligen Justizminister Dr. Harald Ofner, teilweise sogar unter seiner Federführung, mitgetragen wurde und deren Zustimmung fand. Insofern ist mit der heute vorliegenden dringlichen Anfrage auch eine Art Kindesweglegung festzustellen (Bundesrat Dr. Tremmel: Wie bitte? Die Kinder wollen Sie weglegen?) , es sei denn, die Bundesratsfraktion der Freiheitlichen mißtraut der im Nationalrat vertretenen eigenen Fraktion.

Der vorliegende Vorschlag über die Diversion soll künftig eine einfachere, zugleich aber besser auf den Einzelfall abgestimmte Ahndung von leichteren Verstößen weniger gefährlicher Straftäter ermöglichen. Das bedeutet weder eine Entkriminalisierung noch die Privatisierung des Strafrechts.


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite