Bundesrat Stenographisches Protokoll 637. Sitzung / Seite 157

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Die Republik Österreich hat nicht zuletzt deshalb die völkerrechtlich verbindliche interpretative Erklärung abgegeben, daß für sie unter dem Begriff "nationale Minderheit" im Sinne des Übereinkommens die vom Anwendungsbereich des Volksgruppengesetzes erfaßten Gruppen österreichischer Staatsbürger mit nicht deutscher Muttersprache und eigenem Volkstum zu verstehen sind. – Das ist meines Erachtens sachlich völlig korrekt, doch stellt sich die Frage, ob wir damit nicht eine Einbahnstraße beschritten haben. Auf eine Vorbildwirkung mit Eigendynamik kann man nur hoffen! Denn wie sieht es vice versa mit der altösterreichischen Minderheit deutscher Zunge in Slowenien aus?

Ein weiteres gravierendes Manko des Übereinkommens sehe ich darin, daß man sich erklärtermaßen nicht dazu durchringen konnte, nationalen Minderheiten auch kollektive Rechte einzuräumen. So sehr sich das erneut aus den realpolitischen Gegebenheiten erklärt, insbesondere aus den Abwehrtendenzen jener Staaten, die solchen Minderheitsrechten scharf ablehnend gegenüberstehen, muß doch auf die daraus resultierende innere Brüchigkeit des mit diesem Übereinkommen eben nur scheinbar errichteten effektiven Schutzsystems hingewiesen werden. Ich bin nicht weltfremd und politisch naiv genug, um nicht zu begreifen, daß mit dem vorliegenden Rahmenübereinkommen zweifellos keine europaweit verbindliche Norm erzielbar oder auch nur ernsthaft angestrebt war, die jeden Vertragsstaat dazu verpflichtet, seinen nationalen Minderheiten, in welcher Form auch immer, ob in personeller oder räumlicher Dimension, politische Autonomie zu gewähren.

In diesem Zusammenhang stellt sich eher eine grundsätzliche Frage: Kann es einen echten Schutz nationaler Minderheiten überhaupt geben, wenn man ihn auf die an sich selbstverständlichen, weil schon durch den Gleichheitssatz und das Diskriminierungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgten, individuellen Rechte verkürzt? – Daher bestreite ich entschieden die dem Übereinkommen zugrundeliegende These, daß der Schutz einer nationalen Minderheit allein schon durch den Schutz der Rechte der einzelnen Angehörigen dieser Minderheit erreicht werden kann! Daß das schon rein begrifflich nicht nachvollziehbar ist, wird aus insoweit eindeutigen Aussagen des vorliegenden Dokuments selbst hinlänglich klar. So wird bereits in der Präambel das Ziel beschworen, daß die Entwicklung Europas nicht nur von der Zusammenarbeit zwischen den Staaten abhängt, sondern auch der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen lokalen und regionalen Gebietskörperschaften bedarf. Ferner wird in Artikel 3 Abs. 2 festgelegt, daß die Angehörigen nationaler Minderheiten ihre Rechte und Freiheiten nicht nur einzeln, sondern auch in Gemeinschaft mit anderen ausüben und genießen können.

In der Tat ist die Ausübung von Minderheitenrechten aus der Natur der Sache heraus ein intersubjektiver Prozeß unter gruppenspezifischen Aspekten. Drastisch formuliert: Ich kann nicht als isoliertes Individuum meine ethnisch-kulturelle, sprachliche oder religiöse Identität ausleben, da diese stets eine entsprechende überindividuelle Gemeinschaft voraussetzt.

Zuletzt muß noch Kritik an der völligen Unklarheit geübt werden, die darüber besteht, nach welchen Kriterien das Ministerkomitee des Europarats und dessen beratender Ausschuß die rechtliche beziehungsweise politische Beurteilung vorzunehmen haben, ob die Vertragsstaaten angemessene Maßnahmen zur Verwirklichung der im Übereinkommen niedergelegten Grundsätze getroffen haben.

Meine Damen und Herren! Ich darf die Abwägung der Vor- und Nachteile des gegenständlichen Rahmenübereinkommens wie folgt zusammenfassen: Seinem Inhalt nach bildet es offensichtlich den kleinsten gemeinsamen Nenner der europäischen Staaten in der so sensiblen Frage des Schutzes nationaler Minderheiten. Zudem bekräftigt es deren Position bloß in mehr oder weniger dem Minderheitenschutz aufgeschlossenen Staaten, stärkt deren Position jedoch nicht entscheidend in jenen Staaten, die ihren Minderheiten ablehnend bis feindselig gegenüberstehen.

Das ist alles in allem ein eher enttäuschendes Resümee. Dennoch ist anzuerkennen, daß dieses Übereinkommen ein wesentlicher erster Schritt in die gebotene Entwicklungsrichtung ist. Es bleibt zu hoffen, daß es in Zukunft eine entsprechende Eigendynamik entfalten wird.


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