Bundesrat Stenographisches Protokoll 640. Sitzung / Seite 83

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Dennoch halte ich auch dazu fest: Ich habe es lange vor der Ausübung einer politischen Funktion – rein vom Standpunkt eines Rechtslehrers aus – entschieden verteidigt, als der Verfassungsgesetzgeber den "umfassenden Umweltschutz" zur Staatsaufgabe erhoben hat. Damals bin ich durchaus nicht der scharfen Kritik des renommierten Staatsrechtlers Professor Robert Walter beigetreten, der darin lediglich ein völlig inhaltsleeres Programm ohne jegliche normative Relevanz erblicken wollte. Das erklärte sich aus seiner methodischen Position; ist Professor Walter doch als gegenwärtig führender Vertreter der Reinen Rechtslehre im Anschluß an Hans Kelsen einem formalen Gesetzespositivismus verhaftet.

In eigenen rechtstheoretischen Beiträgen bin ich dieser Richtung der Jurisprudenz stets mit Nachdruck entgegengetreten. Aber weshalb erwähne ich das im vorliegenden Zusammenhang? – Anders als beim Umweltschutz, der auf ein heute klar umschreibbares Rechtsgut abstellt, bleibt in bezug auf die faktische Gleichstellung der Geschlechter durchaus offen, was das damit konkret geschützte Rechtsgut Grundrecht sein soll. Denn der normative Anspruch, das Gebot zur Gleichbehandlung von Mann und Frau, war ohnehin im Artikel 7 B-VG von Anfang an verankert.

Im Blick auf die allerdings unleugbare Diskrepanz von rechtlicher Verbürgung und gesellschaftlicher Wirklichkeit geht es beim aktuellen Vorhaben offensichtlich um einen politischen Impuls mit Signalwirkung. Ein sozial erwünschtes Ergebnis, das nur über entsprechende Entwicklungsprozesse erzielbar ist, kann und soll aber meines Erachtens nicht in den Rang einer grundrechtlichen Garantie erhoben werden, die ja einklagbar sein müßte! Denn eben das wäre – ohne jede Abwertung des höchst berechtigten sozialpolitischen Anliegens – eine Reduktion der fundamentalen Bedeutung des Gleichheitssatzes als eines tragenden Prinzips unserer verfassungsrechtlichen Ordnung.

Ich kann mich daher des Eindrucks nicht erwehren, daß die geplante Ergänzung des Artikels 7 B-VG in Wahrheit primär dazu dienen soll, alle bisher auf der Stufe einfacher Gesetze oder gar bloßer Verordnungen vorgesehenen "Frauenquoten" – ich rede nicht von Frauenförderungsprogrammen, denn diese wären auch heute problemlos mit Artikel 7 B-VG alter Fassung vereinbar, sondern von echten Frauenquoten – verfassungsrechtlich – und zwar auch gegenüber dem Verfassungsgerichtshof – abzusichern. Trifft aber dieser Befund zu, so müssen sich dann sämtliche allzu starren Quotenregelungen daraufhin befragen lassen, ob sie mit dem vorrangigen grundrechtlichen Gesichtspunkt vereinbar sind, daß niemand allein unter Bezugnahme auf sein Geschlecht begünstigt oder benachteiligt werden darf.

Anerkennt man, daß sich darin der zentrale Gehalt des Gleichheitssatzes gerade auch im Verhältnis der Geschlechter manifestiert, so stellt sich die sensible Frage, ob das vorliegende Verfassungsgesetz nicht eben in diesen Kernbereich eingreift. Daran knüpft sich freilich die weitere, nicht minder heikle Frage, ob die formale Legitimation eines neuen Verfassungsgesetzes als der Lex posterior und eventuell auch der Lex specialis die Verletzung des Kerngehalts eines selbst verfassungsgesetzlich verbürgten allgemeinen Grundrechts, hier des Gleichheitssatzes, auch substantiell rechtfertigt.

Ist jedoch der Gleichheitssatz in seinem klassischen Verständnis – als elementares Gerechtigkeitsgebot des demokratischen Rechtsstaats – ein Baugesetz unserer Verfassung, so wirft dieses Vorhaben die Grundfrage auf, ob dessen substantielle Veränderung durch ein völlig neuartiges Verständnis, das dann gewiß auch die Zulässigkeit der sogenannten "positiven Diskriminierung" einschließt, nicht auf eine Gesamtänderung der Bundesverfassung hinausläuft. (Unruhe im Saal.)

Präsident Ludwig Bieringer: Herr Bundesrat! Ich darf ganz kurz um Gehör bitten: Es ist ein dermaßen starker Geräuschpegel hier, daß man den Redner fast nicht versteht. Ich würde bitten, der Fairneß halber dem Redner gegenüber, Einzelgespräche einzustellen. – Bitte, Herr Bundesrat, Sie sind wieder am Wort.

Bundesrat Dr. Peter Böhm (fortsetzend): Ich wiederhole meinen letzten Satz: Ist jedoch der Gleichheitssatz in seinem klassischen Verständnis ein Baugesetz unserer Bundesverfassung,


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