Bundesrat Stenographisches Protokoll 640. Sitzung / Seite 95

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Meine Damen und Herren! Das Recht auf Bildung muß allen zustehen, unabhängig von der persönlichen sozioökonomischen Situation oder beispielsweise davon, ob aufgrund des Wohnortes ein erschwerter Zugang zu Bildungseinrichtungen besteht.

Wenn wir das Recht auf Bildung garantieren wollen, dann müssen gesellschaftliche Entwicklungen ständig beobachtet und entsprechende Regelungen als Konsequenz aus den Erkenntnissen getroffen werden.

Die beiden uns vorliegenden Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates entsprechen diesen Anforderungen.

Meine Damen und Herren! Der Rechtsanspruch auf Studienbeihilfe, natürlich unter bestimmten Bedingungen, ist in meinen Augen im Bereich der Bildungspolitik eine der großen Errungenschaften der siebziger Jahre. Der Zugang zu diesem Recht soll gerecht gestaltet sein, daher bin ich froh, daß die heute vorliegende Novelle zum Studienförderungsgesetz auf die besonderen Erfordernisse älterer Studierender Rücksicht nimmt.

Jemand, der bereits in einem Beruf gearbeitet hat, nimmt große Erschwernisse auf sich, wenn er ein Studium absolvieren will. Das muß von der Gesellschaft nach Kräften unterstützt werden. Existenzielle Sorgen dürfen nicht dazu führen, daß ein begabter Mensch sein Studienziel nicht erreichen kann.

Als Frau bin ich natürlich besonders froh darüber, daß Kindererziehungszeiten für den Anspruch auf Studienförderung in Zukunft geltend gemacht werden können.

Wenn man sich die Zahlen der Studie des Bundesministeriums für Wissenschaft und Verkehr über "Studienförderung und Studieneinstiegsalter" ansieht, dann fällt einem auf, daß im untersuchten Zeitraum die Zahl der Frauen unter 30 Jahren bei 52 bis 55 Prozent liegt, jene der Gruppe von 30 bis 35 Jahren bei 51 bis 57 Prozent. Dieser leichte weibliche Überhang gegenüber älteren männlichen Studienanfängern ist sicher auch mit allfälligen früheren Kinderbetreuungspflichten der Frauen zu erklären.

Nicht unerwähnt darf bleiben, daß sich der Studienverlauf von jenen Studierenden, denen eine Studienbeihilfe gewährt wird, günstiger gestaltet als der Studienverlauf von jenen Studierenden, die neben ihrem Beruf studieren. So verbleiben im Universitätssystem von den 30- bis 35jährigen Studierenden mit Studienbeihilfe im dritten Semester 96 Prozent, ohne Studienbeihilfe 67 Prozent, im sechsten Semester mit Studienbeihilfe 88 Prozent, ohne Beihilfe schon nur mehr 47 Prozent, und im zehnten Semester mit Studienbeihilfe sind es immerhin noch 77 Prozent, aber ohne Studienbeihilfe nur mehr 37 Prozent.

Das Interesse der Gesellschaft muß es aber sein, daß ein begonnenes Studium im Regelfall auch beendet werden kann. In Österreich sind die Drop-out-Raten zu hoch. Das ist, abgesehen von der Enttäuschung der Betroffenen – und man verzeihe mir jetzt ein durchaus scharfes Wort –, eine Vergeudung von Ressourcen. Wenn wir also davon ausgehen, daß gut Ausgebildete der Gesellschaft eines Tages mehr geben, als sie von ihr genommen haben, dann ist die Gewährung von Studienbeihilfe nur recht und billig.

Meine Damen und Herren! Bei Durchsicht der Studie ist mir aufgefallen, daß jene Gruppe der Studierenden, die aus Arbeiter-, Kleingewerbetreibenden- und Kleinbauernfamilien kommen, den größten Anteil bei den Studienanfängern zwischen 30 und 35 Jahren stellen. Das heißt, daß bei allem Bemühen um Chancengerechtigkeit viele ihre Chancen erst im Erwachsenenleben, und zwar neben oder nach ihrer Berufstätigkeit, nützen können. Das muß uns allen zu denken geben, und wir müssen alles unternehmen, um sozioökonomische Barrieren abzubauen. Die Novelle zum Studienförderungsgesetz ist daher ein Schritt in die richtige Richtung, der von der sozialdemokratischen Fraktion auch begrüßt wird.

Ich möchte im Zusammenhang mit diesen beiden Gesetzesvorlagen noch auf ein Detail der Studie hinweisen, nämlich auf die Frage der Studienwahl von Studienanfängern im Alter zwischen 30 und 35 Jahren. Es zeigt sich, daß nahezu die Hälfte, nämlich 45 Prozent, ein Studium


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