Bundesrat Stenographisches Protokoll 643. Sitzung / Seite 124

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schon einmal von einem Mitglied einer Sekte angesprochen worden zu sein. 25 Prozent der Befragten haben gesagt, daß sie in ihrem Bekannten- und Freundeskreis jemanden kennen, der schon in engem Kontakt zu kleinen religiösen oder weltanschaulichen Gemeinschaften gestanden ist.

1,8 Prozent – ich denke, das ist die Zahl, auf die wir uns hier besonders konzentrieren müssen, denn sie steht auch in Übereinstimmung mit Untersuchungen, die wir aus Deutschland kennen – haben angegeben – das sind ungefähr 150 000 bis 200 000 Menschen –, daß sie selbst Mitglieder von – ich verwende jetzt bewußt diesen offenen Begriff – religiösen oder weltanschaulichen Gemeinschaften außerhalb der zwölf staatlich anerkannten Kirchen sind.

Wie schon gesagt, es gibt ähnliche Untersuchungen aus Deutschland, die genau die gleichen Zahlen aufweisen. Dort wurde darüber hinaus bereits versucht – das gibt es auf vergleichbare Art in Österreich noch nicht –, den boomenden Esoterik-Markt einer besonderen Betrachtung zu unterziehen. Denn wir wissen auch, daß all diese Freiheiten, die wir heute haben, oft dazu führen, daß wir uns einem Supermarkt der Heilslehren gegenüber finden, in dem jeder versucht, das richtige Heil für sich zu definieren und den anderen – oft auch aus wirtschaftlichen Interessen – damit zu beglücken.

In Deutschland haben diese Untersuchungen ergeben, daß allein der Esoterik-Markt einen Umsatz von ungefähr 18 Milliarden Deutsche Mark aufweist, daß es zirka 40 Esoterik-Zeitschriften mit einer Gesamtauflage von 2,9 Millionen Exemplaren gibt und daß eine Zahl von ungefähr 10 000 bis 20 000 Esoterik-Anbietern der Zahl von ebenfalls 20 000 Nervenärzten, Psychologen und Psychotherapeuten gegenübersteht. Das heißt, daß es eine ungeheure Nachfrage nach Lebenshilfe gibt. Es sind oft auch sehr zweifelhaft ausgebildete Anbieter, die versuchen, diese Nachfrage zu befriedigen.

Warum hat sich nun – diese Frage ist von Bundesrat Gudenus auch gestellt worden – gerade das Familienministerium mit dieser Frage eng auseinandergesetzt? – Das hat primär damit zu tun, daß die davon Betroffenen sehr oft in erster Linie Angehörige sind. Kinder, die in den Einflußbereich einer Sekte geraten sind, brechen oft von einem Tag auf den anderen den Kontakt zu ihren Eltern, Verwandten und Bekannten ab. Die einzelnen Gruppierungen unterbinden oft den Kontakt zum – unter Anführungszeichen – "Vorleben", sie plädieren dafür, die Familienkontakte nicht mehr aufrechtzuerhalten, und reglementieren diese Kontakte auch sehr streng. Mit dieser Methode werden sehr oft erwachsene Familienangehörige von ihren Kindern getrennt.

Eine Umfrage des Bundesministeriums für Umwelt, Jugend und Familie unter 277 Familienberatungsstellen hat 1996 ergeben, daß rund ein Drittel von ihnen mit derartigen Sektenproblemen konfrontiert worden waren. Da muß ich sagen, daß wir meiner Ansicht nach Bundesminister Dr. Martin Bartenstein sehr dankbar dafür sein müssen, daß er dem Entschließungsantrag zur Ausweitung der Informationstätigkeit über Sekten, den der Nationalrat 1994 beschlossen hat, nachgekommen ist, indem er die Broschüre "Sekten – Wissen schützt" veröffentlicht hat, und daß darüber hinaus nun in jedem Bundesland zumindest eine Familienberatungsstelle wenigstens zeitweilig Sektenberatung anbietet, um den Betroffenen vor Ort helfen zu können.

All dies geschieht selbstverständlich in klarer Absprache mit dem Unterrichtsministerium. In dieser Hinsicht brauchen Sie keine Ängste zu haben, Herr Bundesrat Gudenus, weil sogar eine interministerielle Arbeitsgruppe zu Sektenfragen zielgruppenorientiert für Schulen, Jugendliche und Erwachsene Sekteninformationen aufbereitet hat.

Es geht überhaupt nicht darum, Meinungs-, Gewissens- oder Religionsfreiheit in Frage zu stellen. Es geht einzig und allein darum, daß wir im Rahmen einer freien Religions- und Weltanschauungswahl durch Informationen, die in einer Beratungsstelle gesammelt werden, demjenigen, der Informationen über bestimmte Gruppierungen wünscht, diese zukommen lassen können. Wie er sich dann entscheidet, bleibt weiterhin seine Wahl, und das soll ihm auch freigestellt sein. Es soll aber eine staatlich anerkannte neutrale Stelle – und nicht nur solche Stellen bei den anerkannten Religionsgemeinschaften – geben, in der versucht wird, Informationen differenziert aufzuarbeiten und weiterzugeben.


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