Bundesrat Stenographisches Protokoll 643. Sitzung / Seite 125

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Sie haben in der Hinsicht recht, daß der Begriff "Sekte" theologisch, soziologisch oder umgangssprachlich definiert werden kann und daß wir damit immer Probleme haben werden. Faktum ist aber – ich glaube, in diesem Punkt sollten wir alle uns momentan finden –, daß dieser Begriff derzeit einen hohen Signal- und Gebrauchswert in der Bevölkerung hat und sich dazu eignet, verantwortlich, differenziert und sinnvoll genutzt zu werden.

Aus diesem Grund bin ich dafür, daß wir die Dokumentationsstelle für Sektenfragen auch so benennen. Es geht darum, den Mut zu haben, auch klar zu sagen, was wir damit meinen. (Bundesrat Mag. Gudenus: Was meinen Sie damit?)

Wir werden daher gegen dieses Gesetz keinen Einspruch erheben. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

16.57

Vizepräsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Wolfgang Hager. Ich erteile ihm das Wort.

16.57

Bundesrat Wolfgang Hager (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Als im Dezember 1997 im Bundesrat das Gesetz über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften diskutiert und beschlossen wurde, habe ich mich ganz klar für dieses Sektengesetz – wie es umgangssprachlich genannt wird – ausgesprochen. Laut jüngsten Pressemeldungen wurde mittlerweile acht religiösen Gruppen die Rechtspersönlichkeit als religiöse Bekenntnisgemeinschaft zuerkannt. Herr Kollege Rauchenberger hat diese Liste bereits vorgetragen.

Interessanterweise hat unter anderem die Scientology-Kirche ihren Antrag zurückgezogen. Warum hat sie das wohl getan? – Laut Sektengesetz kann der Staat den Erwerb der Rechtspersönlichkeit für Religionsgemeinschaften untersagen, wenn deren Lehre gegen die in einer demokratischen Gesellschaft gegebenen Interessen der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder gegen den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer verstößt. Ist da vielleicht die eine oder andere Sekte gar nicht daran interessiert, nach diesem Gesetz beurteilt und möglicherweise abgewiesen zu werden?

Meiner Ansicht nach hat sich dieses im Vorjahr beschlossene Gesetz bereits in der Praxis bewährt. Der weitere Schritt, der heute gesetzt wird – nämlich der Beschluß des Bundesgesetzes über die Einrichtung einer Dokumentations- und Informationsstelle für Sektenfragen – ist eine logische Fortsetzung und daher sehr begrüßenswert.

Die freie Ausübung einer Religion ist ein Menschenrecht, und sie berührt sicherlich einen sehr privaten Bereich des menschlichen Daseins. Das Gesetz hat aber meiner Ansicht nach dort einzugreifen, wo der private Bereich verlassen wird und wo die Rechte und Freiheiten anderer Menschen berührt werden.

Wenn man beobachten muß, wie manche Sekten Menschen in Angst und Schrecken versetzen, sie ausbeuten, sie in ihrer persönlichen Freiheit einschränken, Identitätsveränderungen und soziale Ausgrenzungen bewirken, dann kann ich den Standpunkt nicht teilen, daß dem Staat in religiösen Fragen eine Neutralitätspflicht obliegt und daß der Staat Religionen nicht als richtig oder falsch bewerten soll. Dann sind meiner Ansicht nach klare Worte angebracht, und dann hat das Verhalten von Psychosekten angeprangert und bekämpft zu werden. Zu warnen und Betroffenen zu helfen, muß dann die Aufgabe des Staates sein.

Ich habe das bereits im Dezember gesagt und wiederhole es jetzt noch einmal: Mich leitet in dieser Frage die Sorge um meine beiden heranwachsenden Söhne.

In meinem Heimatbezirk sind meines Wissens zurzeit nur die relativ harmlosen Zeugen Jehovas mit ihrem Weltuntergangsszenario aktiv. Die Drogenszene aber ist sehr rasch und unauffällig auch in die Landbezirke hineingewachsen, und ich fürchte, daß diese raffinierten und gefährlichen Sekten ihre Arme auch in unsere scheinbar heile Welt ausstrecken werden, wenn sie es


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