Bundesrat Stenographisches Protokoll 645. Sitzung / Seite 85

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müssen. Aber die großen Ankündigungen mußte man natürlich vor der Wahl machen, der Gipfel selbst sollte aber erst hinterher stattfinden.

Je näher das Datum dieses Gipfels rückte, desto weniger war vom eigentlichen Ziel, nämlich Bürgernähe, Subsidiarität, Transparenz und Demokratisierung der Union, die Rede.

Das Außenministerium hat vor wenigen Tagen erklärt, daß heute überhaupt niemand mehr dieses Thema anschneiden möchte. Statt dessen ist der Herr Bundeskanzler quer durch die EU gejettet, nach dem Motto "In 80 Tagen um die Welt" diesmal "In 80 Stunden durch Europa".

Eine österreichische Tageszeitung hat vor wenigen Tagen ein EU-Tagebuch des Herrn Bundeskanzlers von seiner Reise veröffentlicht. Unter dem Titel "Leere Kilometer" heißt es:

Mein Kanzler ist schon ein rechter Wirbelwind. Wie oft habe ich ihn in den letzten Tagen in der "Zeit im Bild" volle Kanone aus einem Auto heraushechten und in einen Amtssitz von einem Regierungschefkollegen hineinlächeln sehen und schwups, da kommt er nach einem Close up auf eine sich diskret schließende Tür und einem kurzen Kameraschwenk über durchschnittlich 2,5 Sehenswürdigkeiten einer der gerade visitierten Metropolen auch schon wieder aus dem Sitz herausgestürmt. Schon wieder ist ein anderes Mitgliedsland auf europäischen Vordermann gebracht! Forza Schwechatiana! Kurz: Ich freue mich jetzt schon so richtig auf den EU-Sondergipfel von Pörtschach, der wahrscheinlich wegen dieser Politik als körperlicher Extremsport ohne Sauerstofflaschen in Angriff genommen werden wird. Selbstverständlich handelt es sich bei dieser Vorbereitungstour in alle EU-Hauptstädte um eine riskante Angelegenheit, bei dieser können nur die allerjüngsten und allermutigsten und speziell dafür ausgebildeten ORF-Reporter zum Einsatz kommen, unverbrauchte Gesichter, junge Löwen, die zuvor in russischen Raumfahrtzentren monatelang auf ihre körperliche Belastbarkeit geprüft wurden. Diese weder oft einstündige Zeitverschiebungen noch das Leben in den Lüften fürchtenden Teufelskerle gehen allerdings in ihrer Berichterstattung davon aus, daß der Weg zugleich schon das Ziel ist – leere Kilometer.

Diese "Tour der Qual", wie der Herr Bundeskanzler uns ausrichten hat lassen, um den österreichischen Bürgern auch klarzumachen, welche Strapazen er für sie auf sich genommen hat, hat also ein einziges Ergebnis gebracht, nämlich neben romantischen Bildern vor diversen Kaminen in den europäischen Amtssitzen eine Themenliste für den Gipfel von Pörtschach.

Diese Themenliste umfaßt unter anderem – ich zitiere nur auszugsweise die vom Herrn Bundeskanzler selbst angeführten Themen –: die Wirtschaftspolitik in Europa, die Finanzfragen der Europäischen Union, die innere Sicherheit, die äußere Sicherheit, die Fragen der WEU, die Bestellung eines "Mr. GASP", das Beschäftigungskapitel, die Einführung des Euro und die Bestellung eines "Mr. Euro", den Zeitplan für die Steuerharmonisierung, die Zusammenarbeit bei militärischen Einsätzen, die weltwirtschaftliche Verantwortung der Europäischen Union, das In-Gang-Bringen der Agenda 2000, die Krise in Rußland, die Krise im Kosovo, die Krise in Asien, die Erhaltung des europäischen Gesellschaftsmodelles, die politische Zukunft Europas und – ganz am Schluß und kleingedruckt – Bürgernähe und Subsidiarität.

Herr Staatssekretär! Sie haben sich damit, könnte man sagen, ein recht ambitioniertes Programm vorgenommen, denn es umfaßt eigentlich alles, was nur irgendwie mit der EU und Europa zu tun hat. Das wäre eigentlich nicht nur ein Jahresprogramm, sondern ein Arbeitsprogramm für Jahrzehnte. Aber die EU-Regierungschefs – und darüber darf man staunen – schaffen das Unmögliche, nämlich alle diese Probleme, von den Weltwirtschaftskrisen bis hin zu allen Fragen der Europäischen Union, in sage und schreibe vier Stunden und 15 Minuten Arbeitssitzung zu bewältigen!

Das ist natürlich eine böse Unterstellung, wie ich gestern gehört habe, denn es gebe nicht nur die Arbeitssitzung von vier Stunden und 15 Minuten, sondern dazu noch gemeinsame Abendessen, ein Kamingespräch und eine Bootsfahrt, und auch diese Bootsfahrt werde man natürlich zu intensivster Arbeit nützen.


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