Bundesrat Stenographisches Protokoll 646. Sitzung / Seite 108

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Deutschland, das eigentlich verpflichtet gewesen wäre, diese Menschen zurückzunehmen, hat sich ab Montag geweigert, sich dem Abkommen gemäß zu verhalten, und zwar mit der Begründung, es seien in Deutschland keine Schubhaftplätze mehr frei.

Ich selbst war am Montag auf dem Brenner und habe gesehen, welch unhaltbare Situation für die wenigen dort stationierten Beamten entstanden ist. Die Beamten, die teilweise seit Freitag ununterbrochen im Dienst waren, hatten für Unterkunft und Verpflegung aller Aufgegriffenen, unter denen auch mehrere Kinder waren, zu sorgen, was ohne die freiwillige Hilfe des Roten Kreuzes in Stainach, das seit Samstag ununterbrochen im Einsatz war, gar nicht möglich gewesen wäre. Das Innenministerium – und damit Sie, Herr Bundesminister – hat tagelang auf diese Situation überhaupt nicht reagiert, und auch dann haben Sie sich darauf beschränkt, die Lage so darzustellen, als ob das Problem ohnehin schon gelöst wäre. Das – das möchte ich Ihnen hier sagen, Herr Bundesminister – ist absolut falsch und eine geradezu fahrlässige Verharmlosung der tatsächlichen Zustände.

Was nämlich in den letzten Tagen in dramatischer Weise offensichtlich geworden ist, ist die Tatsache, daß, wie der Leiter des Bundesasylamtes in Innsbruck festgestellt hat, derzeit aus ganz Europa Flüchtlingsströme auf den Weg in den Süden sind. Dafür gibt es mehrere Ursachen.

Zum einen gibt es in Deutschland die Vorgabe, daß all jene Ausländer, deren Aufenthaltstitel noch in diesem Jahr auslaufen – das sind zwischen 250 000 und 300 000 Personen – rigoros abzuschieben sind. Viele von ihnen versuchen nun, der drohenden Abschiebung ins Heimatland durch die Flucht nach Italien oder in ein anderes EU-Mitgliedsland zu entgehen.

Zum anderen hat die italienische Regierung versprochen, 7 000 Einbürgerungen vorzunehmen und weiteren 30 000 Flüchtlingen eine Aufenthaltsgenehmigung in Italien zu geben. Die Aussicht auf diese Möglichkeit hat einen Ansturm auf Italien ausgelöst, und dieser Ansturm hat bei weitem noch kein Ende.

Es war zum Beispiel sehr interessant, am Mittwoch morgen in den Acht-Uhr-Nachrichten im Radio zu hören, die Situation am Brenner habe sich entspannt, und genau 18 Minuten später, um 8.18 Uhr, per APA-Meldung zu erfahren, daß weitere 40 Illegale aufgegriffen wurden – von der Dunkelziffer gar nicht zu reden.

Dazu kommt noch – auch das ist eine Situation, die dringend eine Reaktion erfordert –, daß Deutschland zwar strengste Kontrollen bei der Einreise auf deutsches Staatsgebiet durchführt, bei der Ausreise aus Deutschland aber, wie man in den letzten Tagen gesehen hat, beide Augen zudrückt. Österreich bleibt da in der Doppelmühle zwischen Deutschland, das die Illegalen ausreisen läßt, und Italien, das durch die "Aktion scharf" an seiner Grenze zu Österreich die Einreise dort verhindert, übrig.

Das Fazit, das man aus diesen Zuständen ziehen muß, ist zweifelsfrei, daß das Konzept von Schengen, sprich: das System der offenen Grenzen, auf der ganzen Linie gescheitert ist. Das ist auch in den Meldungen mehrerer Medien nachzulesen. Die "Salzburger Nachrichten" haben zum Beispiel die Schlagzeile gehabt: ",Aktion scharf‘ legt Schengens Lücken bloß."

Ich frage Sie daher, Herr Bundesminister, ob Sie bereit sind, daraus die notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen und dafür zu sorgen, daß Österreich seine Grenzen wieder streng kontrolliert und das Abkommen von Schengen aussetzt. Daß dies möglich ist, hat Frankreich in einem anderen Fall schon bewiesen, das zu einem Zeitpunkt, zu dem es bereits Schengen-Mitglied war, aufgrund einer internen Krisensituation sehr wohl seine Grenzen dichtgemacht hat.

Eine wirksame Grenzkontrolle setzt aber natürlich auch voraus, daß die personelle und auch die technische Ausstattung der Exekutive entsprechend verstärkt werden. Sie, Herr Bundesmini-ster, haben, soferne ich das richtig in Erinnerung habe, gestern in den Medien von der Hoffnung auf tausend zusätzliche Planstellen gesprochen. Da drängt sich natürlich die Frage auf, wann es diese zusätzlichen Planstellen geben wird. Man muß natürlich auch dazusagen, daß das Planstellen sein werden, die für das gesamte Bundesgebiet zur Verfügung stehen werden, das


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