Bundesrat Stenographisches Protokoll 654. Sitzung / Seite 13

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Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: An sich absolut positive, denn der Beitritt von Polen, von Ungarn und der Tschechischen Republik zur NATO hat natürlich die Zone der Sicherheit und Berechenbarkeit, der Stabilität ausgedehnt, und das ist für uns – ein Land im Herzen Europas, an Bruchlinien, die jahrhundertelang immer wieder Kriege, Spannungen gezeitigt haben – absolut wichtig.

Ich glaube auch, daß diese Länder durch die Integration in die NATO einerseits, aber auch durch die unter österreichischer Präsidentschaft aufgenommenen Beitrittsverhandlungen eigentlich an Dynamik gewonnen haben. Der interne Reformprozeß – die Tendenz zur Demokratisierung, zu freien Medien, zur Übernahme des europäischen Rechtsbestandes, sozusagen die Annäherung an den europäischen Standard – hat eine deutliche Beschleunigung erfahren, und das ist für diese Länder, für ihre Bürger, für ihre Wirtschaft positiv, aber das ist natürlich auch für uns Österreicher absolut wichtig.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Herbert Thumpser gemeldet. – Bitte.

Bundesrat Herbert Thumpser (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Welche Möglichkeiten sehen Sie für ein neutrales Österreich in einer eigenständigen europäischen Sicherheitspolitik?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Da ist es, so glaube ich, einmal sehr wichtig, daß man begreift, daß das Wesen einer europäischen Sicherheitspolitik nicht die Neutralität sein kann, sondern die Solidarität. Das ist das Kernprinzip, daß die 15 EU-Länder gemeinsam etwas tun wollen; wir kommen dann bei späteren Fragen darauf zu sprechen. Der Kern des Amsterdam-Vertrages ist, daß die 15 gemeinsam etwas tun wollen – die Petersberg-Aktionen, humanitäre Einsätze, Krisensicherung, Friedenssicherung, sogar militärische Aktionen zur Friedensschaffung. All dies setzt voraus, daß man gemeinsam etwas tun will, sonst bräuchte man den Amsterdam-Vertrag überhaupt nicht, sonst macht jeder weiter, was er will oder wozu er bereit ist oder wozu er sich in der Lage sieht. Das Wesen dieser europäischen Sicherheits- und Verteidigungsbemühungen ist es also, gemeinsam, solidarisch etwas zu tun.

Daher: In diesem Zusammenhang hat Neutralität überhaupt keinen Sinn. Im Gegenteil, wir wollen eine Einbindung – nie gegen unseren Willen, daher gibt es auch die Möglichkeit des Opting-out. Niemand wird gezwungen, an etwas teilzunehmen, aber es darf auch niemand, der sich zu einem solchen Prinzip bekennt, die anderen behindern. Daher ist alles, was seit 1. Mai mit dem Amsterdam-Vertrag in Kraft getreten ist, ein Mehr an Solidarität, aber auch – das muß man ehrlich und offen sagen – ein Weniger an Neutralität.

Aber das ist eine Position, die übrigens in der Bundesregierung gemeinsam vertreten wird, denn wir haben in der Bundesregierung einen gemeinsamen Beschluß gefaßt, daß wir an diesen europäischen Projekten teilnehmen wollen. Der Nationalrat und der Bundesrat haben den Amsterdam-Vertrag mit mehr als der erforderlichen Zweidrittelmehrheit ratifiziert, er ist daher geltendes Recht. Wir haben jetzt schon angekündigt, daß wir uns, wenn es zu den politischen Beschlüssen kommt, die etwa bis zur Verschmelzung EU und WEU gehen können, jetzt schon deklarieren und sagen: Daran werden wir teilnehmen.

Das ist eigentlich ein sehr wichtiger Punkt. Es ist auch gar nicht mehr notwendig, das zu ratifizieren, da genügt ein Beschluß des Rates oder wahrscheinlich des Europäischen Rates. – Ich sage das nur, damit man in Erinnerung ruft, was wir eigentlich schon beschlossen haben; all dies ist vernünftig, ist sinnvoll, bringt ein Mehr an Sicherheit für ganz Europa, bringt aber auch für uns ein Mehr an Solidarität und ein Weniger an Neutralität.


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