Bundesrat Stenographisches Protokoll 656. Sitzung / Seite 141

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Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach. Ich erteile ihr dieses.

17.30

Bundesrätin Anna Elisabeth Haselbach (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Wie alle vergangenen Ereignisse ist auch die Geschichte eines Volkes der Spannung zwischen Erinnern und Vergessen, Zuwendung und Verdrängung ausgesetzt. Perioden intensiverer Beschäftigung mit der Vergangenheit wechseln mit Perioden, in denen diese Vergangenheit verblaßt. Aber manches verschwindet sogar ganz aus dem Gedächtnis, wie zum Beispiel die Hunderttausenden Zwangsarbeiter. Daß all das noch zum Bewußtsein kam oder besser gesagt gebracht wurde, war gut.

Wir können uns nicht der Tatsache entziehen, daß Undenkbares geschehen ist. Was geschah, ist vorher gedacht, gesagt und geschrieben worden, vorher politisch und sogar wissenschaftlich legitimiert worden. Bereitwillig wurde aufgenommen, daß es Untermenschen gibt, daß es wertvollere und wertlosere Menschen gibt, daß es lebensunwertes Leben gibt, daß es Feinde unseres Volkes, unserer Rasse gibt. Daß es legitim war, jene auszugrenzen, zu verachten, auf Distanz zu halten, zu hassen, die nicht zu uns gehören – danach handelten nicht nur die Rabauken auf der Straße, sondern das machte man sich auch zunutze, um zu rauben, zu quälen, zu morden und im Bereich der Industrie das Bezahlen der Löhne zu vergessen.

Meine Damen und Herren! Zu lange wurden Rechtfertigungen verbrecherischer Handlungen hingenommen, die da lauteten: Ich habe es getan, weil es mir befohlen worden ist. – Andere haben noch schlimmeres getan als ich. – Oder: Wenn ich es nicht getan hätte, dann hätte es irgend jemand anderer mit noch größerer Härte an meiner Stelle getan!, und so weiter und so fort. Wir alle kennen das. Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, daß das unserem Ruf im Ausland nicht gerade dienlich war. (Unruhe.) – Dürfte ich angesichts dieses Themas bitten, die Fotos vielleicht woanders anzuschauen und zu kommentieren. (Bundesrat Konecny: Du mußt lauter reden, die Herrschaften sind von dem Thema so fasziniert!)

Mit der Beschlußfassung über die Errichtung des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus und der heute zuzustimmenden Erweiterung der Rechte und der Möglichkeiten des Nationalfonds ist es uns gelungen beziehungsweise wird es uns gelingen, das Ausland, aber vor allem die Opfer von unserem guten Willen zu überzeugen. An dieser Stelle gebührt den Organen des Fonds unser aufrichtiger Dank. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Ich glaube, ich muß hier noch etwas sagen: Gibt es nicht welche, die immer wieder sagen, es gibt doch nicht nur Auschwitz, es gibt doch auch Dresden? Gibt es nicht welche, die die Nazigreuel gegen die Verbrechen der Kommunisten aufrechnen? Gibt es nicht welche, die sagen, wir seien quitt? – Ja, meine Damen und Herren, auch von anderen Menschen sind Menschen gequält und ermordet worden. Aber das kann den Holocaust, nämlich den planmäßig durchgeführten Genozid und die übrigen Verbrechen der NS-Gewaltherrschaft nicht relativieren, geschweige denn in einem milderen Licht erscheinen lassen. Ich meine, ein wechselseitiges Aufrechnen von Verbrechen verbietet sich für alle, die es mit der Achtung der Menschenwürde ernstmeinen.

Die Naziherrschaft brauchte an die 2 000 Erlässe und Gesetze, um Menschenrechte und Menschen zu vernichten. Nicht alles, was Gesetz ist, ist also Recht.

Mit unserer heutigen Zustimmung zum Gesetzesbeschluß des Nationalrates setzen wir Recht. Gleichzeitig reichen wir damit jenen, denen unsägliches Leid zugefügt wurde, die Hand mit einer Bitte, nämlich mit der Bitte um Vergebung und Versöhnung. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

17.35

Vizepräsident Dr. Milan Linzer: Weiters zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dipl.-Ing. Hannes Missethon. Ich erteile ihm dieses.


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