Bundesrat Stenographisches Protokoll 658. Sitzung / Seite 38

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Übrigen, wie zu betonen ist, in Übereinstimmung mit früheren Entscheidungen der Europäischen Union steht, die auch seinerzeit bei der Süderweiterung die Freizügigkeit der Arbeitskräfte nicht über Nacht eingeführt hat. Es ist das kein orchideenhaftes Sonderbegehren, sondern ein Rekurrieren auf eine durchaus bewährte achtjährige Übergangsperiode, die dazu geführt hat, dass das ohne Friktionen in den alten und in den neuen Mitgliedstaaten über die Bühne gehen konnte.

Dazu gehört auch – ich glaube, auch dazu ist ein klares Wort notwendig – die Debatte über die Kernkraftwerke in einigen dieser Nachbarstaaten. Keine Frage, wir haben uns in diesem Land in einer Volksabstimmung und in einem davor und zum Teil auch danach liegenden, langwierigen Entscheidungsprozess mit klaren Ergebnissen unsere Meinung gebildet, dass Österreich ein Land ohne Kernkraftwerke sein soll und bleiben soll. Das ist eine Option, die auch innerhalb der EU praktisch kein anderer Staat in dieser Deutlichkeit teilt. Bei allem Respekt vor der Entscheidung in diesem Land muss uns klar sein, dass nicht der Schwanz mit dem Hund wedelt. Wenn es also in diesem Verbund der Europäischen Union Kernkraftwerke auf einem Standard gibt, der gemeinsam von den anderen als ausreichend empfunden wird, dann werden wir darüber hinausgehende Standards gegenüber neuen Mitgliedern nicht durchsetzen können. Das muss man klar aussprechen.

Wir werden allerdings mit aller Entschiedenheit darauf zu drängen haben, dass diese Standards auf Punkt, Beistrich und Komma erfüllt werden und dass Kernkraftwerke, bei denen die Erreichung dieses Standards nicht möglich ist, aus welchen Gründen immer, seien es ökonomische oder technische oder seismische Gründe, abgeschaltet werden.

Es ist aber auch klar, dass das ein Prozess ist, der diesen wirtschaftlich in einer durchaus schwierigen Situation befindlichen Staaten ein zusätzliches Opfer abverlangt, an dem wir solidarisch – mit "wir" meine ich die Europäische Union – mitwirken müssen.

Wenn wir es mit Energiewirtschaften zu tun haben, die aufgrund einer unserer Überzeugung nach historischen Fehlentscheidung zu einem guten Teil auf Kernkraft aufgebaut sind, dann bedeutet die Korrektur dieses Kurses auch eine gewaltige ökonomische, sprich finanzielle Anstrengung, weil bestehende Kraftwerke, wie unsicher immer sie sein mögen, durch andere Formen der Energieerzeugung, die erst zu schaffen sind, ersetzt werden müssen.

Ich sage ganz klar, dass die Europäische Union diesen neuen Mitgliedstaaten signalisieren muss – wir sollten das auch tun –, dass wir sie in diesem Prozess der Umstellung, soweit er erforderlich ist, nicht allein lassen werden. Wenn wir uns schützen wollen, haben wir keine andere Möglichkeit. Wir können keine Zäune an unseren Grenzen, die gegen atomare Verseuchung gegebenenfalls schützen würden, aufstellen. Dieser Prozess ist gemeinsam durchzuführen.

Ich sage das auch – Kollege Gudenus ist mit einem seiner Zwei-Sätze-Passagen darauf eingegangen – mit großer Deutlichkeit im Hinblick auf die Beneš- und AVNOJ-Dekrete.

Die Geschichte Mitteleuropas ist ein Prozess der gegenseitigen Verletzungen. Diese Dekrete, die heute erratisch in der aktuellen politischen Landschaft herumstehen, bringen eine entsetzlich historische Kontinuität des Gegenseitig-sich-etwas-Antuns zum Ausdruck. Diese Dekrete hätte es nicht gegeben, wenn es nicht auch eine mitleidlose Verfolgung jugoslawischer Bevölkerungsgruppen gegeben hätte durch die deutsche Besetzung unter – ich kann und will das nicht quantifizieren ... (Bundesrat Schöls: Ist das eine Verteidigung der Beneš-Dekrete?) – Herr Kollege! Ich verteidige nicht die Beneš-Dekrete, aber ich versuche – das würde ich Ihnen auch empfehlen –, den historischen Kontext ihres Entstehens ein wenig zu begreifen. Im Übrigen habe ich jetzt ... (Bundesrat Ing. Scheuch: Ich glaube, solche Dekrete haben keinen Platz in der jetzigen Gesellschaft!)

Herr Kollege! Nein! Genau das ist der Irrtum, den ich anprangere. Es sind die Völker dieser Länder, die erkennen müssen, dass Rache keine Dimension politischen Handelns ist. Nicht das Diktat derer, die schon in der EU sind und sagen, diese Dekrete haben keinen Platz, kann tatsächlich einen Prozess der Veränderung einleiten, sondern nur ein Diskussionsprozess in


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