Bundesrat Stenographisches Protokoll 660. Sitzung / Seite 6

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solches die Wahrnehmung der Gesamtländerinteressen für jeden einzelnen Bundesrat ermöglicht. (Beifall bei der SPÖ.)

Der ehemalige Bundesrat Dr. Christian Broda – Sie haben ihn vielleicht auch in anderer Funktion in Erinnerung – hat dazu einmal ausgeführt: Es ist das freie Mandat, das uns davor bewahrt, zu einem Gremium von Interessentenvertretern degradiert zu werden. – Ich bitte Sie daher, meine Damen und Herren, bei weiteren Überlegungen diesen Gesichtspunkt ausreichend zu berücksichtigen.

Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, Österreichs Geschichte seit 1945 in Kapitel einzuteilen, weil dann die Versuchung groß ist zu sagen, dass ein neues Kapitel beginnt, obwohl eigentlich nur eine demokratische Entwicklung ihren Lauf genommen hat. Aber signifikante Abschnitte gibt es zweifellos.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Politik erfüllt von der Erkenntnis, die durch grauenhaftes Leid gewonnen wurde, dass nur die Demokratie die Durchsetzung der eigenen wie auch der anderen Meinung ermöglicht, denn sie schließt als Lebensform und Geisteshaltung die Achtung vor der Überzeugung des anderen ein. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Dr. d'Aron: Genau das wünschen wir uns!)

In diesem Miteinander, meine Damen und Herren, gelangen der Wiederaufbau, die Festigung der Demokratie und die Erlangung des Staatsvertrages.

Der nächste Abschnitt hat uns durch das Erreichen der Souveränität die Möglichkeit gegeben, selbst zu entscheiden, was aus uns wird. Wir haben unser Land zu einer Heimstätte des gesamten Volkes mit Vollbeschäftigung, steigendem Wohlstand, sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit gemacht. Außerdem haben wir durch unsere selbstgewählte Verpflichtung zur Neutralität der Welt das Beispiel eines Volkes gegeben, das von der Freiheit, die es errungen hat, einen würdigen Gebrauch zu machen versteht.

Damit komme ich zum dritten Abschnitt, zu unserem Eintritt in ein gemeinsames Europa, mit dessen Werten wie Demokratie, Freiheit, Menschenwürde und Frieden wir unverbrüchlich verbunden sind: Gerade in der außenpolitisch und europapolitisch sensiblen Situation, in der sich unsere Republik gegenwärtig befindet, kann ich nur den Appell an Sie richten, keinen Gegensatz zwischen den Werten des Nationalstaates Österreich und den Werten der Europäischen Union, deren integrativer Bestandteil wir sind, aufzubauen! Diese Werte sind keine Gegensätze, sondern ergänzen einander und tragen zu einem starken Österreich in einem geeinten Europa bei.

Auch wenn Österreich erst 1995 der Europäischen Union beigetreten ist, hat gerade unser Österreich zu der Entwicklung der europäischen Werte, beginnend mit der europäischen Aufklärungsbewegung, einen maßgeblichen Beitrag geleistet.

Meine Damen und Herren! Die Welt hat sich in einer Weise geändert, dass wir in unserer Verantwortung als Parlamentarier in hohem Maße herausgefordert sind, klug zu überlegen und nichts an Details und Interdependenzen zu übersehen oder als unbedeutend zu erachten. Die Globalisierung der Märkte für Waren und Dienstleistungen – in Europa insbesondere die Vollendung des Binnenmarktes – hat einen Wettbewerb zwischen den nationalen Standorten in Gang gesetzt. Dieser Wettbewerb veranlasst die Politik, vielfältige Maßnahmen zu setzen, unter welchen sich auch Maßnahmen wie etwa die Einschränkung der sozialen Standards im Arbeitsrecht zu Ungunsten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen befinden. Andererseits aber können steuerliche Belastungen von Arbeitseinkommen und Konsumausgaben zur Finanzierung des Sozialstaats nicht beliebig erhöht werden. Daher zwingt die Standortkonkurrenz unter Umständen zu Einschränkungen sozialstaatlicher Leistungen.

Kurz gesagt, all das resümierend: Die sozialen Folgeprobleme der entgrenzten Ökonomie sind geeignet, das Vertrauen in die demokratische Politik überhaupt zu untergraben. Daher hat der amerikanische Sozialwissenschafter Norman Birnbaum völlig zu Recht darauf hingewiesen – ich sage gleich dazu, dass er nicht der Sozialdemokratischen Partei angehört –, dass die Reali


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