Bundesrat Stenographisches Protokoll 664. Sitzung / Seite 78

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Problematisch daran finde ich auch, dass die Berufsvoraussetzungen in einzelnen EU- beziehungsweise EWR-Staaten höchst unterschiedlich sind.

So bedarf es etwa in der Bundesrepublik Deutschland – anders als bei uns – keiner Anwaltsprüfung und erwirbt man die Befugnis zur Ausübung des Anwaltsberufes in Spanien sogar bereits durch den erfolgreichen Abschluss des Studiums der Rechtswissenschaften.

Vor diesem Hintergrund stellt es sich meines Erachtens als Schlechterstellung österreichischer Rechtsanwaltsanwärter dar, wenn sie nach dem, wie erwähnt, langen Diplomstudium nicht nur die anspruchsvolle Rechtsanwaltsprüfung ablegen, sondern auch eine fünfjährige Berufspraxis, einschließlich der Gerichtspraxis, nachweisen müssen, während bei ihren Kollegen aus dem EU-Ausland eine dreijährige einschlägige Berufstätigkeit in Österreich genügt. Ja noch mehr: Sofern sich der in einem anderen EU-Staat berufsberechtigte Anwalt bei uns freiwillig einer Eignungsprüfung unterwirft und sie besteht – eine Prüfung, die der unseren Rechtsanwaltsanwärtern auferlegten Rechtsanwaltsprüfung an Schwierigkeitsgrad und Umfang nicht gleichwertig ist –, wird er sofort eintragungsfähig. Mobilen österreichischen Studierenden, die den Anwaltsberuf anstreben, ist daher das Jusstudium in bestimmten EU-Staaten und der Erwerb der Berufsberechtigung ebendort anzuraten.

Mit diesen Hinweisen scheint mir die Gleichheitswidrigkeit des vorliegenden Gesetzesbeschlusses zu Lasten der inländischen Rechtsanwaltsanwärter ausreichend dargetan. Dabei verkenne ich wie mein Vorredner nicht, dass die Beibehaltung der strengen Berufsvoraussetzungen für die österreichischen Anwälte einem hohen Ausbildungsniveau und damit zugleich dem Schutze der rechtssuchenden Bevölkerung durch qualifizierte Rechtsberatung und -vertretung dient.

Wäre es Österreich und seiner Anwaltschaft aber primär darum und nicht auch um Standespolitik und Berufsschutz gegangen, so hätten wir uns im Rahmen der Europäischen Union gegen die Erlassung einer Richtlinie mit diesem Inhalt zur Wehr setzen müssen! Vielleicht hätte man sogar eine noch weit mehr ins Grundsätzliche gehende Diskussion führen müssen. Sind die spezifischen Aufgaben und Leistungen der Träger der freien Berufe überhaupt als solche anzusehen, die dem grenzüberschreitenden Dienstleistungs- oder sogar Warenverkehr gleich zu halten sind und daher den für diese Bereiche maßgeblichen Marktfreiheiten voll unterliegen?

Gerade die Rechtsberatung und Rechtsvertretung vor nationalen Gerichten und Verwaltungsbehörden innerhalb der supranationalen Europäischen Union, die bis heute von Rechtsangleichung oder gar Einheitsrecht nur in Teilbereichen geprägt ist, hätte sich als eigenständige Kategorie durchaus angeboten. Aber dieser Zug ist natürlich längst abgefahren.

Als nur schwachen Trost erachte ich auch die Tatsache, dass sich bislang so wenige Anwälte aus anderen EU-Staaten in Österreich niedergelassen haben, dass sie statistisch zweifellos nicht ins Gewicht fallen. Zum einen wird das mit der fortschreitenden Entstehung grenzüberschreitend tätiger Anwaltskanzleien, die in der Form von Personen- oder Kapitalgesellschaften – jetzt auch wohl internationalen Rechtsanwaltsgesellschaften – organisiert sind, wohl kaum so bleiben. Und zum anderen wird die vergleichsweise geringe Anzahl der in Österreich niedergelassenen Anwälte aus dem EU-Ausland den Verfassungsgerichtshof gewiss nicht beeindrucken, wenn er einmal zur Prüfung angerufen sein wird, ob die weit strengeren Berufsvoraussetzungen für österreichische Anwälte nicht eine Inländerdiskriminierung bewirken. Die Aussicht, dass die betreffenden Vorschriften des österreichischen Anwaltsrechts als gleichheitswidrig aufgehoben werden, schätze ich als ziemlich hoch ein.

Diese Bedenken habe ich im Hohen Haus bereits anlässlich der Beschlussfassung über das Rechtsanwalts-Berufsrechts-Änderungsgesetz ausgeführt. Dem damaligen Justizminister ist es aber offenbar nicht gelungen, das Beharren der Standesvertretung der Rechtsanwälte auf dem geltenden Berufsrecht zu überwinden. Unser heutiger Justizminister war damit unverkennbar vor die vollendete Tatsache gestellt, die EU-Richtlinie zeitgerecht umsetzen zu müssen, ohne sich den meines Erachtens gebotenen Begleitmaßnahmen, das heißt den entsprechenden Anpassungen des innerstaatlichen Berufsrechts der Anwälte, mehr widmen zu können.


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