Bundesrat Stenographisches Protokoll 667. Sitzung / Seite 57

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neuen Staatszielbestimmung setzt Österreich einen geradezu historischen Schritt auf dem Gebiete der Volksgruppenpolitik. Wenn sich die Republik damit zu ihrer geschichtlich gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt bekennt, so ist dabei hervorzuheben, dass diese zutreffend mit den autochthonen Volksgruppen und nicht mit Einwanderern aus anderen Kulturkreisen umschrieben wird!

Gewiss waren die Rechte der in ihrer angestammten österreichischen Heimat ansässigen Minderheiten auch schon bisher nicht ungeschützt, und zwar auch vor dem Volksgruppengesetz nicht; sie waren vielmehr nicht nur schon seit dem Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger von 1867, sondern auch später durch die – den Ersten wie auch den Zweiten Weltkrieg gegenüber den Alliierten Mächten abschließenden – Staatsverträge von St. Germain 1918 und vom Belvedere 1955 im österreichischen Rechtsquellensystem bereits hochrangig verankert. Dennoch ist die substanzielle Verbesserung durch diesen eigenständigen und unmittelbaren verfassungsgesetzlichen Auftrag, positive Maßnahmen zum Schutze und zur Förderung der ethnisch-kulturellen Gruppen zu setzen, unverkennbar.

Meine Fraktion wird dieser Vorlage, an der ihr Abgeordneter Dr. Harald Ofner im Verfassungsausschuss des Nationalrates maßgeblichen Anteil hatte, auch schon deshalb gerne zustimmen, weil diese Verfassungsbestimmung in der Tendenz ihrem eigenen, seit vielen Jahren vertretenen Anliegen entspricht, einem europäischen Volksgruppenrecht näher zu kommen.

Gerade Staaten, die Österreich im Zuge der Sanktionen der EU-14 heftig kritisiert haben, wie insbesondere Frankreich und Spanien, weisen in eben dieser Frage des Minderheitenschutzes erhebliche Defizite auf. Von anderen Ländern können wir aber glaubhaft nur das einfordern, was wir selbst zu leisten beziehungsweise zu garantieren bereit sind.

In diesem Zusammenhang darf ich darauf verweisen, dass auch das aktuelle Linzer Programm der Freiheitlichen Partei – anders als zuvor! – ausdrücklich auf alle angestammten Volksgruppen und Kulturgemeinschaften in Österreich Bezug nimmt und die Erhaltung ihrer Identität und ihre Förderung zur politischen Aufgabe von Staat und Gesellschaft erklärt. Ich bin davon überzeugt, dass das auch den drei so genannten Weisen nicht entgehen wird, wenn sie "die Entwicklung der politischen Natur der FPÖ" überprüfen.

Gewiss überschätze ich die normative Verbindlichkeit der neuen Staatszielbestimmung insofern nicht, als aus ihr allein nicht unmittelbar einklagbare subjektive Rechte ableitbar sind. Mehr als rein politische Programmatik aber enthält sie allemal. Den mit ihr erreichten rechtspolitischen Gewinn sehe ich vornehmlich darin, dass es dabei, anders als etwa bei der Rahmenkonvention des Europarates, nicht bloß um die Garantie der den Angehörigen der einzelnen Volksgruppen zustehenden Individualrechte geht, sondern dass hier vielmehr zugleich eine normative Grundlage für die Anerkennung von Gruppenrechten der ethnisch-kulturellen Gemeinschaften geschaffen worden ist.

Es trifft sich damit – es freut mich, Ihnen, geschätzte Damen und Herren, darüber berichten zu können –, dass es jüngst im Zuge der Verhandlungen zur Erarbeitung einer Grundrechtecharta der Europäischen Union unser österreichischer Delegierter, Professor Brauneder, war, der einen mutigen Vorstoß in diese Richtung unternommen hat. Er hat vorgeschlagen, in diesen Katalog der europäischen Grundrechte auch Rechte der Volksgruppen aufzunehmen, und zwar einerseits "Identitätsrechte" und andererseits "Sprachenrechte".

Am vorliegenden Verfassungsgesetz begrüße ich nicht zuletzt auch, dass es entgegen dem ursprünglichen Entwurf den altehrwürdigen Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes von 1867, der in Artikel 149 Abs. 1 B-VG rezipiert worden ist, nicht eliminiert. Einer meines Erachtens verfehlten überwiegenden Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs folgend, nimmt nämlich der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes an, dass diesem Artikel 19 StGG durch die Artikel 66 bis 68 des Staatsvertrages von St. Germain derogiert worden und daher längst obsolet geworden sei. Mit so renommierten Rechtsgelehrten wie Ermacora, Pernthaler und anderen teile ich diese Rechtsauffassung aber keineswegs.


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