Darüber hinaus ist die Zurückhaltung der Bundesverfassung gegenüber programmatischen Bestimmungen aber auch charakteristisch für das formale Verständnis der Schöpfer der Bundesverfassung von 1920. Nach diesem formalen Konzept hat die Verfassung nur die Funktion einer Spielregel, einer Verfahrensordnung für politische Prozesse, die der Politik jedoch keine Inhalte vorgeben soll.
Das Konzept der Spielregelverfassung ist jedoch nicht nur auf dem Gebiet der Interpretation durch ein wertorientiertes Verfassungsverständnis abgelöst worden. Seit etwa Mitte der siebziger Jahre haben zahlreiche programmatische Bestimmungen in die Bundesverfassung Aufnahme gefunden wie etwa das Bekenntnis zur umfassenden Landesverteidigung oder zur Parteiendemokratie, die Erklärung zum Rundfunk als öffentliche Aufgabe und in jüngster Vergangenheit zur Gleichbehandlung von Behinderten und zur Gleichstellung von Mann und Frau.
Dass diese Staatszielbestimmung im Nationalrat durchwegs einstimmig beschlossen wurde, macht zunächst deutlich, dass zwischen den politischen Parteien heute ein erheblich breiterer politischer Konsens besteht als zur Zeit der Gründung der Republik. Da gerade in jüngster Vergangenheit angesichts der heftigen und schärfer gewordenen Auseinandersetzung zwischen den politischen Parteien die Befürchtung laut geworden ist, der Konsens der Zweiten Republik löse sich auf beziehungsweise das politische System entwickle sich weg vom Modell der Konsensdemokratie, scheint es mir doch wesentlich zu sein, heute hier hervorzuheben, dass – wie die Einhelligkeit in Bezug auf die vorliegende Staatszielbestimmung zeigt – der politische Grundkonsens der im Nationalrat vertretenen Parteien auch heute noch zu finden ist.
Es bleibt aber die Frage – das ist heute schon angeklungen –, welche rechtliche Bedeutung Staatszielbestimmungen zukommt. Laut Bericht der Sachverständigen-Kommission des Deutschen Bundestages haben Staatszielbestimmungen, Gesetzesaufträge aus dem Jahre 1983 normative Richtlinienfunktion für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung. Damit ist zunächst der positive Gestaltungsauftrag des Gesetzgebers angesprochen, der im zweiten Satz des Artikels 8 Abs. 2: Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung der autochthonen Volksgruppen sind zu achten, zu sichern und zu fördern, auch explizit zum Ausdruck kommt.
Für die Verwaltung ist die Staatszielbestimmung unmittelbar anzuwenden, einerseits als Interpretationsmaßstab, andererseits als Abwägungsgebot für den Bereich des Ermessens. Auch für die Gerichtsbarkeit, hier vor allem für die Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts, dient die Staatszielbestimmung als Interpretationsmaßstab. Schon bisher ist der Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung davon ausgegangen, dass die einschlägigen verfassungsrechtlichen Normen eine Werteentscheidung zu Gunsten des Minderheitenschutzes enthalten. Diese Werteentscheidung wird durch die hier zur Debatte stehende Staatszielbestimmung näher verdeutlicht.
In diesem Sinn hat der Verfassungsgerichtshof in mehreren Erkenntnissen ausgesprochen, dass die Staatsziele eine sachliche Rechtfertigung für gesetzliche Regelungen darstellen können. Je nach dem Regelungsgegenstand ist nach dieser Rechtsprechung der Schutz von Angehörigen einer Minderheit gegenüber Angehörigen anderer gesellschaftlicher Gruppen sachlich zu rechtfertigen oder ist es sogar erforderlich, die Minderheit in gewissen Belangen zu bevorzugen.
Was die Bundesregierung betrifft, möchte ich darauf verweisen, dass sie in Umsetzung ihres Regierungsprogramms bereits in den ersten Monaten ihrer Amtszeit eine Reihe positiver Maßnahmen für die anerkannten autochthonen Volksgruppen in Österreich gesetzt hat. Ich verweise hier auf die Topografieverordnung Burgenland, und auch die am 14. Juni 2000 beschlossene ungarische Amtssprachenverordnung ist hier zu nennen. Auch dem Gesetzesbeschluss, der heute hier gefasst werden soll, liegt eine Vorlage der Bundesregierung zu Grunde. – All dies, so meine ich, zeigt deutlich das Bemühen der Bundesregierung um Fortschritte, was die Situation der Volksgruppen betrifft.
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