Bundesrat Stenographisches Protokoll 669. Sitzung / Seite 92

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Würden nicht alle Mitgliedstaaten einen Kommissar stellen, so wäre das unserer Meinung nach eine ernste Schwächung der Kommission. Das aber würde wieder zulasten der kleineren Mitgliedstaaten gehen, die ohnehin befürchten müssen, dass informelle Vorabsprechen größerer Mitgliedstaaten außerhalb der Union als vollendete Tatsachen hingestellt werden.

Zur Umgewichtung der Stimmen ist unsere Haltung klar. Sie muss unserer Ansicht nach moderat ausfallen, dass heißt vor allem, es muss in gewisser Weise eine relative Bevorzugung der kleineren Staaten gegenüber den größeren geben.

Bei der dann für die zukünftige Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft zentralen Frage der Ausdehnung der Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit herrschte von Beginn an – so darf ich sagen – Übereinstimmung darüber, dass bei ratifikationsbedürftigen Verträgen oder auch bei den Bestimmungen Einstimmigkeit erhalten werden muss, bei denen bestimmte, sehr vitale Bereiche angesprochen werden. Insgesamt stehen zur Disposition: Steuern, soziale Fragen, Visa, Einwanderung und die gemeinsame Handelspolitik.

Der Grundsatz der Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen wird von den EU-Mitgliedstaaten an und für sich nicht bestritten. Erst kürzlich hat Präsident Prodi dieses Anliegen auch in das Zentrum der Institutionenreform gestellt. Aber es gibt, wie ich schon angedeutet habe, gewisse Bereiche, die absolut essenziell sind und die man auch in Zukunft mit Einstimmigkeit entscheiden sollte. Diese Bereiche müssen daher ganz genau untersucht und herausgearbeitet werden, denn sonst würden wir wahrscheinlich neuerliche Gefahren heraufbeschwören.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben nach sorgfältigster Prüfung bei vielen der zur Diskussion gestellten Artikel – man hat von Artikel zu Artikel die verschiedenen Prüfungen durchgeführt – einen Übergang zur qualifizierten Mehrheit grundsätzlich als wünschenswert oder akzeptabel gefunden, aber folgende Bereiche, die wir eben für sensibel erachten, herausgestellt, bei denen wir auf die Einstimmigkeit beharren. Dazu gehören in erster Linie natürlich umweltpolitische Maßnahmen – ich meine damit die quantitativen Aspekte der Wasserressourcen, also Eingriffe in die Wassermengenbewirtschaftung –, aber auch Fragen wie die Raumordnung, die Bodennutzung, die Wahl des Energieträgers sowie bestimmte grundlegende, vor allem harmonisierende Maßnahmen im Bereich des Asylverfahrens. Dazu zählen insbesondere die Verteilung von Belastungen, die mit der Aufnahme von Flüchtlingen verbunden sind, das Aufenthaltsrecht von Drittstaatenangehörigen sowie vor allem auch die Flüchtlingsaufnahme und die Einwanderungspolitik.

Es gibt dann noch einige andere Punkte, die aber nicht von dieser wesentlichen Bedeutung sind und die natürlich entsprechend von uns vertreten werden.

Was die verstärkte Zusammenarbeit betrifft, die ebenfalls ein wichtiger Punkt in diesem Institutionsgefüge ist, also die weitergehende Zusammenarbeit von einer kleineren Gruppe von Mitgliedstaaten in bestimmten Bereichen, darf ich sagen, das ist vielleicht der einzige Bereich, bei dem sich in Biarritz ein Konsens abgezeichnet hat. Die verstärkte Zusammenarbeit soll leichter angewendet werden können, allerdings immer unter Beachtung klarer Kriterien und Bedingungen, damit vor allem die Kohärenz und auch die Einheitlichkeit des Integrationsprozesses, was uns sehr wichtig war, nicht gefährdet werden.

Die verstärkte Zusammenarbeit soll daher im Rahmen der EU-Verträge und nicht außerhalb, wie ich vorhin sagte, stattfinden, sonst wäre die Gefahr eines Direktoriums erst recht gegeben. Es soll auch jedem Mitgliedstaat möglich sein, zu der Gruppe der verstärkten Zusammenarbeit aufzuschließen, damit wir auch die Kohärenz steuern können. Wir können nicht jene, die hinten geblieben sind, nicht mehr aufschließen lassen. Schließlich, so glaube ich, müssen die Interessen auch der nicht teilnehmenden Staaten gewahrt werden, und der Gemeinschaftsacquis muss von allen respektiert werden.

Wir glauben aber auch, dass es in manchen Bereichen sogar besser ist, mit qualifizierter Mehrheit zu beschließen, als in einer kleineren Gruppe voranzugehen, damit der Gesamtzusammenhalt der Union weiter gesichert ist.


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