Bundesrat Stenographisches Protokoll 669. Sitzung / Seite 94

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Bei den Verhandlungen mit der Luxemburggruppe – mit Zypern, Ungarn, Polen, Estland, der Tschechischen Republik und Slowenien – gilt es nunmehr, nachdem alle Verhandlungskapitel mit dieser Gruppe eröffnet wurden, klare Lösungsansätze vor allem auch in den schwierigeren Dossiers zu erarbeiten. Dabei geht es vor allem um die Frage der Übergangsfristen, die zweifellos einen Schwerpunkt bilden wird. Folgende Überlegungen spielen eine Rolle: Es sollen einzelfallbezogene und maßgeschneiderte Lösungen gefunden werden, es müssen nachvollziehbare Begründungen vorliegen, und es bedarf realistischer Zeitpläne, im Rahmen welcher sich die Beitrittskandidaten für die Umsetzung des Acquis bis zum Ende der Übergangsfrist verpflichten. – Das sind die wesentlichen Kriterien, die für uns wirklich wichtig sein müssen. (Beifall bei der ÖVP.)

Wir gehen davon aus, dass – die Landwirtschaft nicht mit eingerechnet – in den nächsten Wochen und Monaten insgesamt 170 Anträge auf Übergangsfristen von den Kandidatenländern behandelt werden können. So wurde zum Beispiel im Bereich der Erdölbevorratung oder auch bei den Bankenrichtlinien bereits Anträgen auf Übergangsbestimmungen stattgegeben. Das ist der richtige Moment, auch eigene Vorstellungen für solche Übergangsbestimmungen einzubringen.

Die Verhandlungen zum Kapitel Freizügigkeit der Person werden erst nach der Regierungskonferenz, also unter schwedischer Präsidentschaft, fortgesetzt werden, und wir werden zweifellos sowohl bei der Frage der Personenfreizügigkeit als auch bei der Frage der Dienstleistungsfreizügigkeit einhaken. Bei der Erstellung solcher Regelungen werden wir uns vor allem anhand objektiver Fakten orientieren und uns für Übergangsmodelle aussprechen, die – auch das ist wichtig – einer gemeinschaftsrechtlichen Überprüfung standhalten.

Die Europäische Kommission hat in diesem Frühjahr eine Studie über die Auswirkung der EU-Erweiterung auf die Beschäftigung und die Arbeitsmärkte in den Mitgliedstaaten veröffentlicht. Es ist dies ein Statuspapier, in welchem ausdrücklich auch anerkannt wird, dass Österreich von der Gewährung der Personenfreizügigkeit besonders betroffen sein wird, denn wir sind schließlich das einzige Land, das von vier Beitrittsstaaten sozusagen umringt ist. Wir können also davon ausgehen, dass die Union inzwischen durchaus Verständnis für diese spezifische österreichische Position hat. Das hat allerdings lange gedauert, wir mussten sehr lange an dieser Bewusstseinsbildung arbeiten.

Bei den Verhandlungen mit der so genannten Helsinki-Gruppe, also mit Malta, Rumänien, Bulgarien, der Slowakei, Lettland und Litauen, erscheint es uns wesentlich, den so oft beschworenen "Catch-up"-Mechanismus nicht zu einer bloßen Worthülse werden zu lassen. Das heißt, die beachtlichen Fortschritte dieser Staaten – ich denke in diesem Zusammenhang vor allem an die Slowakei, aber auch an Lettland und Litauen – sollen nicht unhonoriert blieben. Wir gehen davon aus, dass mit diesen Staaten Verhandlungskapitel bis zum Frühjahr gänzlich eröffnet sein werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für Österreich – das ist mir ein ganz besonders wichtiges persönliches Anliegen – ergibt sich aus dem Beitritt unserer zentraleuropäischen Nachbarn eine wirklich große, auch politische Chance. Durch eine enge politische Kooperation im Sinne einer freien und gleichberechtigten – ich betone: gleichberechtigten – strategischen Partnerschaft könnte ein gemeinsam agierender und kooperierenden Raum mit nahezu 40 Millionen Einwohnern geschaffen werden, der allen Partnern potenziell auch ein größeres Gewicht in der Union verschafft. Auf die Entwicklung eines solchen kooperativen Netzwerkes, welches die unmittelbare Nachbarschaft betrifft, möchte ich ganz besonderes Augenmerk lenken, und ich möchte ab nächstes Jahr diese Fragen ganz besonders mit unseren Partnern und Kollegen ansprechen. (Beifall bei der ÖVP.)

Ich sage weiters ganz klar: Diese Überlegungen stellen keine Rückkehr in die Geschichte dar – ich bin keine Nostalgikerin –, sondern sie zielen auf eine zukunftsorientierte Vernetzung gemeinsamer Interessen von gleichberechtigten Staaten innerhalb einer erweiterten Union ab. Ich stelle mir diese Entwicklung in zwei Phasen vor. In der ersten Phase befinden sich die Staaten noch in der Beitrittsphase. Zu dieser Zeit müssen wir ihnen objektiv, nach entsprechenden Kriterien und


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