Bundesrat Stenographisches Protokoll 682. Sitzung / Seite 107

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Das ist ein gutes Modell – ein Modell, mit dem ein nicht ganz unbedeutender Kleinstaat wie die USA seit 200 Jahren so übel nicht lebt –, aber es bedeutet natürlich eine gewaltige Portion nationalen Verzichts in diesem Europa, in dem sich derzeit 15 Nationalstaaten, wenn auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten, auf denselben Weg gemacht haben. Wie gesagt: Gerade der Werdungsprozess von Nizza ist der Beweis dafür, dass die Entscheidungsmechanismen der Europäischen Union ausgereizt sind. Es geht nichts mehr! Wir sind mit diesem Kräfteparallelogramm an jenen Punkt angelangt, dass nunmehr dieses Fünfzehneck – ich war nie so gut in Mathematik; wie man ein Fünfzehneck mathematisch bezeichnet oder gar berechnet, darin will ich mich nicht versuchen – keine Lösungen mehr liefert: Es ist nicht in der Lage, Boykotte, Vetos, sehr ausgeprägte Standpunkte zu überwinden.

Ein kleiner Staat wie Österreich, Politiker eines kleinen Staates wie Österreich haben sich daher zu fragen – wie gesagt, mit offener Antwort, und diese ist auch heute nicht zu geben, wir sind dazu auch nicht aufgerufen –: Wie kann denn eine Entwicklung aussehen für einen Kleinstaat, der sich an seine Vetomöglichkeiten klammert? – Ein Szenario ist, zu sagen: Wenn ich Europa mit soundso vielen Millionen Menschen nach einem vermutlich in Zukunft egalitärer gestalteten System der Zuerkennung von Parlamentariern durch die Maßzahl dividiere, dann bleiben eben 14 oder wie viele auch immer Österreicher über. Das ist eine Minigruppe in einem 600-köpfigen Parlament, das ist mit Sicherheit kein Zünglein an der Waage, sondern irgendwo ein kleiner Faktor unter vielen.

Wenn wir das Parlament kurz halten – was wir alle öffentlich immer dementieren, indem wir sagen: Nein, das muss ein wirkliches Parlament werden! –, dann ist es nicht so wahnsinnig wichtig, ob darin 21, 16, 14 oder wie viele auch immer Österreicher sitzen, wenn wir auf der anderen Seite die Blockadehoheit in dem jetzigen reduzierten Ausmaß behalten.

Die Frage ist nur: Was gewichten wir höher? – Eine solche, sehr absolut zu nehmende Interessenvertretung – es gibt gute Beispiele dafür – oder unsere Bereitschaft, am europäischen Prozess dynamisch teilzunehmen?

Wir können auf der Ebene darunter die Frage gleich noch einmal stellen: Was trauen wir uns zu? Ist es wirklich vorstellbar, dass wir große europäische Prozesse mit solchen Blockadehaltungen auf Dauer aufhalten können, oder wird in einer Europäischen Union, die sich außerdem noch vergrößert, der Druck auf dieses eine Mitgliedsland so viel stärker werden, dass irgendwann einmal die Nachteile, die man sich durch die Blockadehaltung einhandelt, stärker sind als der Erfolg dessen, dass man etwas verhindert?!

Wie gesagt, es ist eine Diskussion mit offenem Ausgang, aber wir sollten diese Diskussion offen und ehrlich führen. Beide Hüte zusammen kann man nicht aufsetzen: Entweder wir treten für eine weitgehend demokratisierte, wie gesagt, nach dem Modell der Nationalstaaten entwickelte Europäische Union ein – Klammer auf: wobei in Wirklichkeit der Europäische Rat die Funktion der zweiten Kammer erfüllt; ob man das irgendwann einmal mit konkreten Menschen anfüllt oder die Regierungschefs die Aktienpakete hochhalten lässt, ist in Wirklichkeit nicht so bedeutsam –, oder wir wollen eine Demokratisierung, ein gestärktes Parlament. Wollen wir diesem Parlament – was besonders wichtig wäre – auch das Initiativrecht zuerkennen, ihm all das geben, was das Wesen eines Parlaments ausmacht – nämlich selbst aktiv zu werden und nicht nur reaktiv auf die Vorschläge der Kommission reagieren zu können –, dann müssen wir konsequenterweise sagen: Wir werden ein im Wesentlichen, außer bei Vertragsveränderungen, durchgehendes Mehrheitsprinzip auch im Rat hinnehmen müssen.

Wenn wir das andere wollen und sagen: Putzt euch alle!, wir haben unsere klaren Standpunkte, und über die lassen wir mit uns nicht reden!, dann ist die Forderung nach mehr Demokratie hohl, denn diese beiden Prinzipien schließen einander aus.

Wir haben also – und hier möchte ich die von Kollegen Hösele vorgelesene Entschließung dann auch in meinen Ausführungen thematisieren – mit dem Vertrag von Nizza einen Prozess ausgereizt. Wir haben damit die Grundlagen für die Erweiterung geschaffen – was von dieser Erweiterung zu welchen Zeitpunkten stattfinden kann, ist letztlich in der Hand der Beitrittsstaaten und


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