Bundesrat Stenographisches Protokoll 686. Sitzung / Seite 153

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Der Aufbau des Sozialstaates – das kann man ruhig sagen – ist auch untrennbar mit sozialdemokratischen Regierungen und sozialdemokratischen Bundeskanzlern verbunden. (Bundesrätin Dr. Kanovsky-Wintermann: Vranitzky! Ein "typischer Sozialpolitiker"!) Ich rufe im Folgenden einiges in Erinnerung – es gibt manches davon nicht mehr, aber aus der Dynamik der Entwicklung heraus sieht man, was in kurzer Zeit alles erfolgt ist –:

1973: Heiratsbeihilfe, 1974: erhöhte Geburtenbeihilfe, Mutter-Kind-Pass; ebenso Verlängerung der Mutterschutzfrist und des Karenzurlaubes. (Ruf bei der ÖVP: Auf wie lang?) Der kostenlose Zugang zu schulischen Ausbildungsstätten, kostenlose Schulbücher, die steigende Qualität ärztlicher Betreuung, Witwen- und Witwerpension, Abfertigung, der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen, Pflegegeld und vieles andere mehr trugen dazu bei, dass sich die österreichischen Bürgerinnen und Bürger darauf verlassen konnten, dass sich der Staat seiner sozialen Verantwortung bewusst ist.

Die Österreicherinnen und Österreicher haben eines erfahren, nämlich dass sie sich in Notsituationen auf die Hilfe des gesamten Gemeinwesens verlassen dürfen und können. Das heißt nichts anderes, als dass es auch zwischen dem Staat und seinen Bürgerinnen und Bürgern einen gültigen Vertrauensgrundsatz geben muss.

Beinahe 30 Jahre lang hatte dieser Vertrauensgrundsatz Bestand. Das Vertrauen der Bevölkerung ging auch dann nicht verloren, als es darum ging, soziale Maßnahmen den sich ändernden Bedingungen anzupassen. Denn eines ist sicher: Auch Sozialleistungen sind einer ständigen Evaluation zu unterziehen, um neuen Herausforderungen gerecht werden zu können. Es hatte die Heiratsbeihilfe zu ihrer Zeit die gleiche Berechtigung wie zum Beispiel die erhöhte Geburtenbeihilfe. Es kam aber auch der Zeitpunkt, ab dem sie an Bedeutung verloren hatten und durch die Abdeckung neuer Bedürfnisse ersetzt werden konnten.

Bei allen Reformen wurde aber eines nie außer Acht gelassen, nämlich die soziale Sicherheit und der soziale Friede. Die vormaligen Bundesregierungen unter den SPÖ-Bundeskanzlern waren sich der Tatsache bewusst, dass soziale Sicherheit und sozialer Friede für jeden Menschen Voraussetzung sind (Ruf bei der ÖVP: Was ist jetzt anders?) für eine sorgenfreie und zufrieden stellende Lebensführung. Sie sind aber auch Grundlage für die gesamte wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung unseres Landes.

In nur etwas mehr als zwei Jahren hat es die blau-schwarze Bundesregierung geschafft, das Vertrauen der Österreicherinnen und Österreicher in den Sozialstaat Österreich schwer zu erschüttern. Ein zur "heiligen Kuh" hochstilisiertes Nulldefizit bietet den äußeren Anlass und den Rahmen dafür, in einem noch nie da gewesenen Ausmaß Belastungsmaßnahmen zu setzen. Eine Bundesregierung, die mit dem Versprechen, ausgabenseitig zu sparen, angetreten ist, hat Österreich zu den höchsten Steuer- und Abgabenquoten seiner Geschichte geführt.

Satte 93 Milliarden € beträgt der Beitrag, den Österreicher an Steuern und Abgaben zu leisten haben. Während die Abgabenquote im EU-Durchschnitt bei 41,7 Prozent liegt, erzielt Österreich eine Quote von 45,5 Prozent.

Diese 45,5 Prozent bedeuten, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis zum 20. Juni jedes Jahres nur für den Staat arbeiten, und das sind um neun Tage mehr als noch zweieinhalb Jahre vorher unter einer SPÖ-Regierung.

Dass die derzeitige Sozialpolitik in eine bedenkliche Schieflage geraten ist, zeigt auch die Tatsache, dass seit dem Mai 2001 die Arbeitslosenzahlen kontinuierlich ansteigen. Im März 2002 waren beim Arbeitsmarktservice um 18 Prozent mehr Jobsuchende gemeldet als noch vor einem Jahr.

Erschreckend an den vorliegenden Zahlen ist die Tatsache, dass gegenüber dem Vorjahr die Zahl jener Arbeitslosen, die mehr als sechs Monate vorgemerkt sind, um 40 Prozent angestiegen ist. (Bundesrat Steinbichler: In Wien!) Familienväter, AlleinerzieherInnen, Personen mit Einschränkungen und so weiter – allesamt Menschen, für deren Probleme diese Bundesregierung die richtigen Rezepte schuldig bleibt.


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