Bundesrat Stenographisches Protokoll 690. Sitzung / Seite 143

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keine Bevölkerungsmehrheit hinter sich hat. Zu diesem System gehört – auch das kann man nicht willkürlich einführen – beispielsweise eine manchmal ziemlich groteske Überrepräsentation ländlicher Wahlkreise. Das ist ein Stück britischer oder vereinigt königreichlicher Identität, das man zur Kenntnis ... (Zwischenruf der Bundesrätin Dr. Kanovsky-Wintermann. )

Das war das, was der Kollege hören wollte. Wenn es Ihnen nicht Recht ist, reden wir über Kanarienzucht, wenn es der Herr Präsident zulässt. Ich erkläre Ihnen jetzt: Das gilt nicht, einen Ball ins Spielfeld zu werfen und dann zu sagen, das wollen wir aber nicht hören. (Beifall bei der SPÖ. – Vizepräsidentin Haselbach übernimmt den Vorsitz.)

Herr Bundesminister! Es ist auch Ihre Zeit. Aber der Kollege hat mich höflich eingeladen, und ich kann einer solchen Einladung nicht widerstehen. Frau Kanovsky ist es jetzt nicht Recht. Schlagen Sie ein Thema vor! (Beifall und Heiterkeit bei der SPÖ.)

To cut it short: Dieses System hat sich in Wirklichkeit in 300 Jahren für Großbritannien bewährt, weil es ein Stück der nationalen Identität geworden ist. Wenn jemand, der all das nicht mitbekommen hat, sozusagen diese 300 Jahre Parlamentsgeschichte verschlafen hat, in das Land kommt und fragt: Seid ihr verrückt geworden? Wieso wählen etwa 18 000 Wähler in einem Schafzüchterwahlkreis in Schottland einen Abgeordneten und 60 000 Londoner? (Bundesrat Mag. Gudenus: Haben Sie was gegen Schafe? – Allgemeine Heiterkeit.) – Herr Kollege! Das ist ein Missverständnis! Auch im Mehrheitswahlrecht sind die Schafe nicht stimmberechtigt. (Beifall und Heiterkeit bei der SPÖ.)

Dann wird vielleicht ein Engländer verblüfft sein, weil er nie daran gedacht hat. Wir in Österreich haben ein System – das gehört zu unserer Identität – eines extremen Verhältniswahlrechtes. Ich bin überzeugt, wenn wir mit unserer Bevölkerung darüber diskutieren würden und man Abgeordnete halbieren könnte, gäbe es eine Mehrheit dafür. Es ist die österreichische politische Tradition mit ein paar Abweichungen, die auch geschichtlich zu erklären sind, ein möglichst exaktes Abbild der Prozentanteile zumindest im Nationalrat, im Landtag – wir sind ein bisschen anders, wir sind immer anders, auch hier – wiederzubekommen.

Es gibt auch Länder die das ohne Sperrklausel machen, Israel ist ein typisches Beispiel. (Bundesrat Dr. Nittmann: Italien!) – Das ist anders. Sie haben ein etwas komplizierteres System. Israel hat ein einfaches System, ein nationaler Wahlkreis, die Sperrklausel ist 1 Prozent. Das erreicht jeder, sofern er eine etwas größere Familie hat, und damit ist jeder drin. Das Resultat ist die Fragmentierung der israelischen Politik, da jede Regierung nicht weniger als 15 Parteien umfasst, weil anderweitig keine Mehrheiten zu finden sind.

Wenn man jetzt sagt, dieses System, das wir und das viele europäischen Länder in Abwandlungen haben, hat seine Meriten wie etwa die exakte, aber nicht fragmentierende Abbildung der Bevölkerungsmeinung, aber das Mehrheitswahlrecht hat – und das weit über die Repräsentanz von bestimmten Gruppen hinaus – einen ungeheuren Vorteil: Es ergänzt, es forciert den gesellschaftlichen Kontext, und es macht es für Parteien ziemlich kostspielig – der Preis ist eine Wahlniederlage –, sich zu weit aus der Mitte zu entfernen!, dann ist das auch ein Wert.

Im Gegensatz zu dem, was Sie Herrn Dr. Gusenbauer unterstellen, kann man auf einer politologischen Ebene – wenn die Kollegin wiederkommt, sagen Sie ihr, dafür habe ich meinen Professor bekommen, nur damit sie es weiß; es gibt manche Zwischenrufe, die nichts ins Protokoll eingehen, was für allem für jene, die sie tun, sehr gut ist – fragen, ob es Möglichkeiten gibt und ob es unserer aktuellen historischen Situation angemessen ist, das System zu wechseln oder eine Kombination von Systemen zu erreichen.

Ich habe mich persönlich vom deutschen Wahlrecht immer sehr sympathisch angesprochen gefühlt, das auf der einen Seite eine starke Direkt- und damit Mehrheitswahlkomponente enthält, andererseits aber die objektive Zusammensetzung des Parlaments, die gesamthafte Zusammensetzung trotzdem in einem ziemlich exakten Verhältniswahlrecht forciert – mit dem Schönheitsfehler, dass durch das Modell der Ausgleichsmandate gelegentlich einzelne Bundes


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