Bundesrat Stenographisches Protokoll 690. Sitzung / Seite 142

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

Lassen wir nun den Stoffwechsel! Sie informieren sich darüber, wer Herr Liebermann war, dann reden wir über dieses Thema gerne weiter.

Herr Bundesminister! Sie haben also bisher keine einzig zulässige Antwort auf die Zurufe gegeben, dass die Bundesgesetzgebung nicht dazu da ist, Ansprüche, die die Herren Haider und Westenthaler formulieren, zu exekutieren – weder auf der Ebene der Gesetzgebung noch auf der Ebene der Regierung und der Aufsichtsbehörde. Ganz abgesehen von allem, was vorher im Rahmen der Bestellungsvorgänge passiert ist: Die letzten beiden Tage waren ein demokratiepolitischer Skandal. Zurufe, einen Vertrag nicht zu genehmigen, Zurufe, den Stall auszumisten, Zurufe, den Generaldirektor in die Wüste Gobi zu schicken – das ist nicht nur schlechter Stil, das ist schlicht und einfach gegen alle Grundsätze der Entscheidungsfindung in einer Demokratie. Das ist genau die Diktatur einiger wortgewaltiger Funktionäre. (Beifall bei der SPÖ.) Es liegt an Ihnen, Herr Bundesminister, ob Sie sich zu deren Erfüllungsgehilfen machen wollen oder nicht.

Die Geschichte der österreichischen Sozialversicherung ist im Wesentlichen eindrucksvoll. Es wird Ihren Platz in dieser Geschichte wesentlich determinieren, wie Sie mit solchen Zurufen umgehen. Genau deshalb fragen wir Sie, welche legistischen Initiativen Sie planen. Wenn Sie jetzt meinen – ich habe das vorhin einmal gesagt –, man müsse an der Zusammensetzung eines wie immer benannten Entscheidungsgremiums so lange herumbasteln, bis eine Mehrheit für Herrn Gaugg gesichert ist, dann ist das genau das, was ich befürchte. Unser Gaugg – so meinen manche bei Ihnen – muss einfach durch.

Ob der Koalitionspartner umgefallen ist oder ob es der eigene Dissident war, das weiß ich so wenig wie irgendjemand anderer, wissen tut das nur Herr Westenthaler. Er hat gesagt, er weiß es genau, und den wird er würgen. Gut, das ist nicht mein Stil. (Heiterkeit bei der SPÖ.) Aber wenn er es weiß, dann bleibt ihm unbenommen, was immer er tun möchte, soferne er damit nicht mit dem Strafgesetz in Konflikt kommt – beim Würgen, so glaube ich, sind wir jenseits dieser Grenze. Aber die Entscheidung eines ohnehin in Abweichung von den demokratischen Mehrheitsverhältnissen unter den Versicherten zusammengesetzten Gremiums ist wohl auch dann zu respektieren, wenn sie einem nicht gefällt.

Sehen Sie, genau das ist der springende Punkt beim Demokratieverständnis. Es ist jeder Partei schon einmal passiert, dass Gremien, auf deren Entscheidung man gehofft hat oder mit denen man sogar gerechnet hat, etwas anderes beschlossen haben, als man erwartet hat. Man muss auch mit Niederlagen umgehen können. Das ist eine schmerzliche Erfahrung, das sage ich aus meinem langen politischen Leben. Aber es zeichnet den Demokraten aus, nicht die Spielregeln zu ändern, sondern zu versuchen, die demokratischen Mehrheiten für das, was man will, zu erreichen. Wenn Sie versuchen, die Spielregeln zu verändern, dann verrät das einen demokratischen Stil, der abzulehnen ist. (Bundesrat Dr. Lindinger: Das Mehrheitswahlrecht wollen Sie einführen! Das ist Ihre sozialistische Politik! Sie predigen hier die Demokratie, und in Wirklichkeit wollen Sie etwas anderes!)

Herr Kollege! Ich kann gerne auch über ein anderes Thema sprechen, wenn es sein muss, auch über Wahlrechtsreform. (Bundesrat Dr. Nittmann: Ja bitte!) Ich unterliege hier als Begründer keiner Redezeitbeschränkung. Wenn der Herr Präsident das als zum Thema gehörig genehmigt, dann machen wir jetzt einen kurzen Abschnitt über Wahlsysteme und deren demokratiepolitische Auswirkungen. Herr Präsident! Habe ich Ihre Zustimmung? (Vizepräsident Weiss nickt.) – Gut.

Ich komme gerne auf Herrn Gaugg zurück, aber reden wir über Wahlsysteme. Wir haben eine Reihe von Ländern, die seit langer Zeit in ihrer politischen Kultur durch extreme Formen des einen oder des anderen Wahlrechtes geprägt sind. (Bundesrat Dr. Nittmann: Zum Beispiel?) Zum Beispiel wird niemand in Großbritannien – auch nicht die Partei, die unterlegen ist – ein Problem damit haben, dass die mit überwältigender Mehrheit das Parlament dominierende siegreiche Partei (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Lindinger ) üblicherweise – ganz egal, wie sie heißt – weniger als 40 Prozent hat. Es ist in einem Zweieinhalb-Parteien-System, wie Sie es in Großbritannien haben, die logische Konsequenz, dass die Mehrheitspartei üblicherweise


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite