Bundesrat Stenographisches Protokoll 694. Sitzung / Seite 10

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9.18


Bundeskanzler, betraut mit der vorläufigen Leitung des Bundesministeriums für öffent­liche Leistung und Sport Dr. Wolfgang Schüssel: Hoher Bundesrat! Herr Präsident! Er­lauben Sie mir, dass ich, bevor ich die Regierungserklärung hier abgebe – und zwar in einer etwas verkürzten Form, denn die schriftliche Erklärung liegt Ihnen ja vor; ich glaube, es ist dies auch so in der Präsidialkonferenz vereinbart worden –, einige Worte zum schrecklichen Tod, zur Ermordung von Zoran Djindjic sage.

Zoran Djindjic ist vor nicht einmal 24 Stunden, um die Mittagszeit herum, von einem Scharf­schützen vom gegenüber liegenden Dach des Regierungsgebäudes aus erschossen worden. Ich muss ganz offen sagen: Mich hat diese Ermordung tief getroffen, denn Djindjic war eine wirkliche Hoffnung für diese ganze Region, für Südosteuropa, für den Balkan – nicht nur für Serbien und Montenegro. Er war einer der ganz wenigen brillanten Politiker, die eine euro­päische Vision und auch eine europäische Gesinnung verkörpert und gelebt haben.

Wir Österreicher haben da eine Rolle inne, die zwar im globalen Zusammenhang nicht übertrie­ben werden darf, die aber, wie ich meine, gerade in diesem Bereich, in Mitteleuropa, in Südost­europa, in Richtung Balkan wichtig ist. Österreich hat immer schon – das ist weit über die Par­teigrenzen hinaus zu sehen – eine Rolle zu leben versucht – diese ist auch angenommen und positiv begründet worden –, die in Richtung Einbindung dieser Region in europäische Struktu­ren, in verstärkte Demokratisierung, in wirtschaftliche Zusammenhänge und Netzwerke und in Richtung Kulturaustausch gegangen ist. Wir haben uns enorm bemüht, dieses neue Serbien, dieses neue Jugoslawien auf einen europäischen Weg zu führen.

Für mich als früheren Außenminister und jetzigen Bundeskanzler war Zoran Djindjic wirklich eine der ganz wenigen Hoffungen in dieser Region, in diesem Land. Ich habe ihn immer unter­stützt, auch als er noch ein ganz unbekannter Oppositionspolitiker gewesen ist. Ich werde es nie vergessen, wie er, als er das erste Mal nach Wien gekommen ist, im Außenministerium seine Fragen, seine Hoffnungen und auch seine Befürchtungen geäußert hat. Er ist dann einige Male, praktisch jedes Jahr ein-, zweimal gekommen, zum Teil zusammen mit anderen Oppo­sitionellen. Ich weiß auch, dass viele politische Parteien – wo immer sie stehen – diese Hoff­nung sehr unterstützt haben.

Ich werde auch nicht vergessen, was er mir, als ich meinen ersten Staatsbesuch beim damali­gen Ministerpräsidenten absolviert habe, erzählt hat. Er hat zweimal eine wirklich historische Bedeutung erlangt, nämlich das erste Mal als er im Herbst 2000 mit einem absolut durchdach­ten und brillant geplanten demokratischen Coup Milosevic gestürzt hat. Er hat mir bei diesem meinem Besuch erzählt, dass in den Tagen und den Stunden davor dreimal von Milosevic der Tötungsbefehl gegen ihn ergangen sei. Die Armee habe sich geweigert, der Geheimdienst habe sich geweigert, und die Präsidentengarde sei dann letztlich unter dem Druck des Militärs vor diesem Tötungsauftrag zurückgeschreckt.

Er hat diese Erzählung übrigens in einem sehr beeindruckenden Interview mit Paul Lendvai in der „Europäischen Rundschau“ zu Protokoll gebracht.

Ein zweites Mal hat Djindjic historische Bedeutung erlangt, als er am 28. Juni 2001, ausgerech­net am Jahrestag der Schlacht am Amselfeld, was eine gewisse Konnotation für jeden Serben hat, Milosevic gegen heftigsten Druck im Inland, gegen die nationalistischen Kreise und die alten Clan-Strukturen nach Den Haag ausgeliefert hat.

Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir seiner gedenken, dass wir nicht einfach zur Tagesord­nung übergehen, dass wir wirklich versuchen, dieses Vermächtnis, das mit ihm verbunden ist, mitzunehmen, und dass wir jene wenigen Hoffnungen, die es dort noch gibt, stützen und stär­ken, damit die Attentäter nicht den Erfolg davontragen, quasi einen doppelten Erfolg im Nach­hinein. Ich würde Sie sehr darum bitten, dass wir dieses Gedenken auch in diese heutige Sitzung mit aufnehmen. (Alle Anwesenden verharren einige Zeit in stummer Trauer.)

Meine Damen und Herren! Nun zur Regierungserklärung:

 


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