Bundesrat Stenographisches Protokoll 695. Sitzung / Seite 58

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„Man könnte Österreich auch einmal als eine Familie von neun Geschwistern betrachten:

Eines hat, weil das Schicksal oder die Geschichte es so wollte, die Führungsrolle und damit einen Haufen Scherereien übernommen;

ein anderes“ – von Wien springen wir jetzt nach Niederösterreich – „dient dem ersten brav und bie­der und betrauert nur leise und gelegentlich den Verzicht auf ausgeprägte Eigenidentität;

eines“ – Steirer, bitte aufpassen! – „findet Vergnügen daran, dem ersten gelegentlich das Haxel zu stellen oder einen Puff zu versetzen und dann so zu tun, als wär’s ein Zufall gewesen;

das vierte“ – Oberösterreich – „arbeitet tüchtig vor sich hin, fühlt sich über das zweite“ – nämlich Niederösterreich – „erhaben und nimmt dem ersten“ – Wien – „prinzipiell alles übel;

das fünfte“ – Burgenland – „fühlt sich vom zweiten und dritten über die Schulter angesehen und setzt alles daran, vom ersten ernst genommen zu werden;

das sechste“ – Salzburg – „ist die Schönheit der Familie, neigt aber dazu, schlecht aufgelegt zu sein;

das nächste“ – Kärnten – „ist das fröhlichste von allen, aber so unzuverlässig, daß es alle an­deren oft an den Rand der Verzweiflung bringt“ (Heiterkeit und Beifall bei ÖVP und SPÖ) „;

das achte“ – Tirol – „hingegen bringt das Kunststück zuwege, zugleich überheblich gegen jedes ein­zelne und loyal gegen das Ganze zu sein.“ (Heiterkeit bei ÖVP und SPÖ.) – Gegen das Ganze zu sein!

Eines fehlt noch – Jörg Mauthe schreibt: „Ich habe mich gehütet, die Namen der Geschwister zu nen­nen; der Leser mag sie selbst erraten. Aber daß es in jedem Familienverband einen Nach­züg­ler gibt, der, weil er der Kleinste ist, besondere Tüchtigkeit entwickelt und den anderen ge­gen­über besonders hartnäckige Individualität an den Tag legt, wird jedem, der sich ein wenig auf Gruppenpsychologie versteht, ebenso klar sein, wie daß es sich dabei nur um Vorarlberg han­deln kann.“ (Heiterkeit und Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Ich danke Ihnen für die neuneinhalb Jahre, in denen ich in diesem Kreise mitwirken durfte, und ich wünsche Ihnen – über alle Parteigrenzen hinweg – das, was Präsident außer Dienst Scham­beck immer wieder sagte: Es kommt bei jedem Bundesrat nicht so sehr auf das Gewicht des Mandates an, sondern darauf, was jede Persönlichkeit aus diesem Bundesratsmandat macht. Ich wünsche Ihnen – egal, in welchem Bereich Sie jetzt gerade tätig sind, welcher Fraktion Sie an­gehören; Sie haben eine Rolle in einer Gesellschaft zu erfüllen –, dass Sie dieses Mandat zur Zu­friedenheit vor allem der Wählerinnen und Wähler, die Ihnen das Vertrauen geschenkt ha­ben, und zum Wohle der föderalistischen Republik Österreich ausüben können. – Ich danke Ihnen und verabschiede mich hiemit. (Lang anhaltender allgemeiner Beifall. – Die Bundesräte von ÖVP und SPÖ erheben sich dabei von ihren Plätzen.)

12.52


Vizepräsident Jürgen Weiss: Meine Damen und Herren! Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es aus einem solchen Anlass jemals Standing Ovations für eine Rede gegeben hätte. Das zeigt aber auch, wie sehr sie uns nahe gegangen ist.

Ich möchte dir, lieber Walter, stellvertretend für alle ausscheidenden Kolleginnen und Kollegen aus Niederösterreich, ein herzliches Wort des Dankes sagen. In besonderer Weise gilt das dem aus­scheidenden Ordner Walter Grasberger, der ungeachtet seiner schmerzhaften Unfallfolgen mit einer bewundernswerten Disziplin seine Aufgabe bis zur heutigen Sitzung versehen hat, in einer beispielhaften Form der Pflichterfüllung. Seinem Pflichtbewusstsein entspricht es auch, dass er mit den von ihm dargelegten Hinweisen und Anliegen in unserer Arbeit weiterleben möch­te. Wir können dir – neben allen guten Wünschen – nicht mehr mit auf den Weg geben, als dass wir das beherzigen und fortsetzen wollen.

 


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