Bundesrat Stenographisches Protokoll 695. Sitzung / Seite 60

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

der Juden muss verhindert werden. Keine Restitution eins zu eins, sondern einen anonymen Fonds, damit nur ja niemand zurückkommt.“

Es ist erstaunlich, dass im Frühjahr 1945 – die erste Staatsregierung gab es, glaube ich, im Mai oder schon im April, ich weiß es nicht mehr, aber in dieser Zeit wird es wohl gewesen sein – Ren­ner diese Aussage gemacht hat und dass man sie jetzt durch Rathkolb zur Kenntnis bekommt.

„Der Wiener Philosoph Burger – er wird in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zitiert – „pole­mi­siert seit einiger Zeit gegen die in Österreich wie in Deutschland vorherrschende Neigung, per­manentes Erinnern an schreckliche Verbrechen zur öffentlichen Pflicht zu machen. Burger for­dert statt dessen mildes, heilsames Vergessen.“

Ich bin nicht für das Vergessen, aber das soll jeder für sich selbst entscheiden. Ich glaube, man sollte nicht so sehr einen Staatskult daraus machen, was miserabel in unserer Geschichte ver­lau­fen ist. Man soll es nicht vergessen, jeder soll es so halten, wie er will – weniger Staats­kult!

Wir wissen – ich sage das jetzt ausdrücklich in Richtung Sozialdemokraten und ÖVP –, dass schon zwi­schen 1933 und 1955 Zwangsarbeit geleistet werden musste. Ich glaube, allen diesen Opfern – und das ist der Punkt, bei dem ich sage, der Schlussstrich ist noch nicht zu ziehen – ge­hört gleichermaßen gedacht, alle diese Opfer gehören gleichgewichtig entschädigt. Alle, die zwi­s­chen 1938 und 1948 ihres Eigentums beraubt und vertrieben wurden, sind zu ents­chädi­gen, soweit es möglich ist, und nicht nur die eine oder die zwei Opfergruppen, die wir behan­deln. Diese Republik hat sich für alle Staatsbürger und auch ehemaligen Staatsbürger – es sind nicht mehr alle hier in Österreich, gerade die Juden sind aus guten Gründen nicht hier, sondern ausgewandert und kommen nur selten zurück – in gleicher Weise zu verwenden, und es darf meines Erachtens keine zwei Opfergruppen geben: die guten und die bösen Opfer. Ich komme vielleicht noch darauf zurück.

Wir haben gestern im Fernsehen gesehen und in der heutigen oder gestrigen „Kronen Zeitung“ ge­lesen, dass es jetzt das Feilschen – sage ich, es wird anders genannt – der Bundesländer um den ehemaligen Habsburger-Besitz, den Staatsbesitz wie den Privatbesitz, gibt. Nun wissen wir, im Jahr 1938 bekam ein Habsburger einiges zurück, um dann sehr schnell wieder vom nach­folgenden Regime enteignet zu werden. Aber diese Besitze sind noch nicht von dieser Re­publik zurückgegeben worden.

Denken wir nur an das Gelände des Philipp-Hofes! Das war ein Habsburger-Grundstück, ein Habs­burger-Haus – bedauerlicherweise ist es Anfang des Jahres 1945 durch kollaterales Bom­bar­dieren, wie man heute sagen würde, völlig kaputt gegangen. Oder denken wir an einen Turn­saal in Simmering, der dem Österreichischen Turnerbund gehörte! Er wurde auch enteignet im Zusammenhang mit dem Anschluss an das Dritte Reich. Es waren sogar vier Turnhallen! Aber Eingaben an Politiker wie Gusenbauer und Kostelka blieben entweder ohne Antwort oder wur­den mit banalen Feststellungen wie die von Kostelka beantwortet, dass in einem „sehr gut funktionierenden Rechtsstaat ... man wohl davon ausgehen kann, dass auch in dem von Ihnen angesprochenen Fall ein korrektes Vorgehen der staatlichen Stellen gegeben war.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns auf so etwas berufen, dann dürften wir auch heute diese Gesetze nicht beschließen, weil der Staatsvertrag von Wien gewissermaßen schon einen Schlussstrich gezogen hat. Ich meine, es ist wichtig, den Schlussstrich für alle Op­fer­gruppen in gleicher Art und Weise zu dehnen, insbesondere für jene, die noch nichts bekom­men haben, die noch immer materiell nicht entschädigt worden sind. Es ist betrüblich und schreck­­lich, was alles passiert ist, es sterben immer mehr und mehr, aber wir müssen darauf achten, dass wir die Opfer gleich behandeln.

Den Opfern von 1933 bis 1955 wird mit Kenntnissen, Erfahrungen und Dressuren aus der Zeit nach deren Tod die Ehre abgesprochen, die Lauterkeit ihrer Opfer geleugnet, und es werden die Schmerzen der Sterbenden wie der Überlebenden, die sich den Geopferten verbunden fühlen, mit Füßen getreten.

 


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite