Bundesrat Stenographisches Protokoll 696. Sitzung / Seite 44

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Es geht darum: Wenn heute ein Jugendlicher mit der Justiz in Berührung kommt, dann gibt es in der Regel eine entsprechende Familiengeschichte. Professor Friedrich hat das bei der Enquete auch gesagt: Wenn die Familie bereits über zwanzig Mal einen polizeilichen Kontakt hatte, dann ist das Allerwichtigste für die Resozialisierung, den Jugendlichen genau diesem Milieu zu ent­ziehen, damit Resozialisierung überhaupt eine Chance hat. – Und jetzt kommen diese Jugend­lichen in ein Haus, in dem auch ältere, erwachsene Gefangene einsitzen.

Ich hatte in der Betreuung in der Rüdengasse einmal einen Jugendlichen, der wegen zwei Kas­setten, die er aus einem Auto entwendet hat, neun Monate lang gesessen ist. Er war 15 Jahre alt, und das Gericht hat ihn nach neun Monaten U-Haft freigesprochen. Der Richter hat nachher gesagt: Glauben Sie nicht, Sie haben jetzt ein Guthaben für die Zukunft! – Es wurde erklärt, wie wichtig es ist, dass gerade solche Jugendliche nicht mit einem Gefangenenhaus in Berührung kommen, das für sie prägend wird, in dem sie vielleicht sexuelle Nötigung oder andere Formen von Erpressung erleben! Es geht darum, zu verhindern, dass diese Jugendlichen dort neue Vorbilder bekommen, nämlich tatsächlich kriminelle Vorbilder.

Den Jugendlichen mit den zwei Kassetten und neun Monaten U-Haft konnten wir Gott sei Dank so weit resozialisieren, dass er bis zum heutigen Tag nicht mehr straffällig geworden ist.

Lassen Sie mich noch einen Punkt erwähnen! Ich muss bei der Jugendgerichtsbarkeit auch auf den Hintergrund hinweisen. Wir verzeichnen seit dem Jahre 2000 Zuwächse, die beängstigend sind! Im Suchtgiftbereich: plus 60 Prozent, gewerbsmäßiger Diebstahl: plus 84 Prozent, Haftzu­gänge Jugendliche: plus 66 Prozent, Haftzugänge junge Erwachsene – das sind jene zwischen 19 und 21 Jahren –: plus 35 Prozent.

Dazu kommt bei den jungen Erwachsenen, dass das Parlament quasi mit einem Federstrich beschlossen hat, dass die volle Straffähigkeit um ein Jahr gesenkt wird. Mit einem kleinen „Auf­zeigen“ bei der Abstimmung hat man im Grunde die Verdoppelung des Strafrahmens riskiert.

Ich möchte wissen, wo da der große Sprung zwischen 18 und 19 ist, für den man den Strafrah­men einfach verdoppelt! Mit welchem Recht man da die Besonderheiten des Jugendgesetzes einfach beiseite schiebt, das ist eine Frage, die sich der Gesetzgeber, wie ich meine, besser überlegen hätte sollen. Ein paar Dinge wären dabei wohl noch zu berücksichtigen gewesen.

Die Grenzmengen für Drogen sind herabgesetzt worden, was einer Erhöhung der Strafen gleichkommt.

Zu den bedingten Entlassungen: Herr Minister! Die Entwicklung in diesem Bereich bedauere ich sehr! Sie wissen, was das für die Resozialisierung bedeutet. 80 Prozent der Verurteilten sitzen derzeit ihre Strafe ab. Dieser Rückgang bei den bedingten Entlassungen, die gerade die Chance bieten würden, den Jugendlichen durch verschiedenste Möglichkeiten wieder in die Ge­sellschaft zu integrieren, ist bedenklich. Nicht das Wegsperren ist à la longue das Ziel, sondern die Resozialisierung. Und gerade die Zahl der bedingten Entlassungen geht zurück!

Eine Zahl, Herr Kollege Gruber: Die Bewährungshilfe kostet am Tag 10 €, die Haftanstalt 100 €. – Ich frage mich, was à la longue insgesamt – wenn man noch das Sozialsystem dazu­rechnet – günstiger kommt: die Haft oder die Bewährung, die schrittweise Resozialisierung und das Vermeiden des Kontaktes mit schweren Kriminellen. Es geht darum, zu verhindern, dass die Kriminalisierung, die Stufe der Gewalt, so früh in einem Leben einsetzt. Es geht darum, zu verhindern, dass die Jugendlichen neue kriminelle Vorbilder bekommen. Dies wird aber unter Umständen der Fall sein, wenn jetzt der Jugendgerichtshof seine Pforte schließen muss.

Herr Minister Böhmdorfer! Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie oft zu Unrecht oder zu hart kritisiert wurden. Aber ich sage Ihnen auch ganz ehrlich: Ich glaube, das ist einer der entscheidendsten Fehler in Ihrer Amtszeit.

Minister Grasser, der lange Zeit Ihr Parteikollege war, hat diese Woche gesagt: Wir haben Fehler gemacht. – Es wäre schön, wenn Sie sagen könnten: Ich habe mit der Abschaffung, mit der Auflösung des Jugendgerichtshofes überzogen, ich habe tatsächlich einen Fehler gemacht.

 


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