Bundesrat Stenographisches Protokoll 696. Sitzung / Seite 61

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es ist eine Forderung an die Adresse der Bundesregierung – hat aber ganz offensichtlich nicht jene Beantwortung gefunden, die sie verdient.

Dieses Land, Österreich, verdankt seine Geltung, seine Identität jener Vielfalt, die uns auszeichnet. Dieses Österreich ist ein Land – ich hoffe doch – der nationalen, der religiösen und der kulturellen Vielfalt und jener Toleranz, die die Entwicklung dieser Vielfalt ermöglicht.

Wir haben eine Vielzahl von staatlichen Instrumenten der Förderung, die diese Vielfalt ermöglichen und unterstützen sollen, und das halten wir – ich hoffe, alle – für richtig.

Wir fördern die autochthonen nationalen Minderheiten in unserer Republik, die auch ihre sprachliche Identität bewahren sollen. Wir fördern die Religionsgemeinschaften in unserem Land. Wir bemühen uns, den vielfältigen regionalen Aspekten unserer Vielfalt gerecht zu werden. Wir fördern naturgemäß auch kulturelle Initiativen sehr unterschiedlichen Zuschnitts – ich hoffe, in der genügenden Breite, obwohl wir diesbezüglich auch gelegentlich Kritik anzu­merken haben. Wir fördern politische, ideologische Gruppierungen und die von ihnen gesetzten Maßnahmen zur Verbreitung der Ansichten, die sie vertreten. Wir fördern Publikationen, die diese Standpunkte zum Ausdruck bringen.

Wir haben in den letzten Jahren beim Ausbau dieser Förderungen sicherlich nicht in dem Aus­maß Schritt gehalten, wie es einer differenzierten Gesellschaft angemessen gewesen wäre. Wir haben das Diktat der angeblich leeren Kassen auch in diesem Bereich durchschlagen lassen.

Das sind die Rahmenbedingungen, unter denen dieses Thema zu diskutieren ist. Aber jene Aspekte, denen sich unsere dringliche Anfrage widmet, sind nicht nur in diesem Zusammen­hang zu debattieren. Dass jüdische Mitbürger – in Klammer gesagt: religiös oder nicht religiös – ein wichtiges und in vielen Bereichen geradezu identitätsstiftendes Merkmal dieses Landes waren, ist jedem bekannt, der das nicht verdrängen will.

Ich erspare es mir, jene lange Liste von Nobelpreisträgern, Wissenschaftlern und Künstlern aufzuzählen, auf die dieses Land – manchmal zu Recht und oft nicht zu Recht – stolz ist, das heißt: Stolz kann man schon auf sie sein, aber ob wir ein Recht darauf haben, uns heute mit ihnen zu brüsten, das ist in vielen Fällen höchst zweifelhaft!

Aber sie sind jedenfalls ein Stück der positiven Identität dieses Landes, das über weite Strecken – wenn ich in die Landschaft schaue: über weite Teile unserer Republik – vernichtet und zahlenmäßig nur mehr zu einem Bruchteil einstiger Größe vorhanden ist.

Wir kennen heute die Namen von 65 000 österreichischen Juden, die ermordet wurden, wir wissen um die Schicksale. Unsere Kinder – und ich habe das für eine der schönsten Aktionen gehalten – haben ihnen Botschaften geschickt, und zwar an die einzige Adresse, die es, wenn man das glaubt, noch gibt: nach oben, in den Himmel.

Was es heute noch gibt, sind kleine Restbestände. Es ist eine Ehre für unser Land und für jene, die solche Aktivitäten initiiert haben, dass wir dem in vielen Bereichen gedenken, es würdigen und Einrichtungen schaffen, die das tun. Wir haben in Hohenems, in Eisenstadt, in Wien jüdische Museen. Wir haben Gedenksteine und Gedenkmale, wir haben von der Bevölkerung stark angenommene Gedenkfeiertage wie die Befreiung Mauthausens oder die Feier hier im Parlament. – All das ist wichtig!

Das Gedenken an die Toten der Shoah ist ein Element, aber wir sollten um nichts in der Welt den Eindruck entstehen lassen, dass bei diesem Gedenken nur eines stört, nämlich die paar lebenden Juden, die es in Österreich noch gibt.

Wenn wir Schuld zum Ausdruck bringen – keine, die einer von denen, die hier im Saal sitzen, trägt, aber eine Schuld unserer gemeinsamen Geschichte –, wenn wir ein Ja sagen zu dieser Vielfalt, dann müssen wir auch – und gerade – die wenigen lebendigen Zentren jüdischen Lebens in unserem Land erhalten, und, wenn sie das aus eigener Kraft nicht können, sie dabei unterstützen.

 


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