Mein
Vorstellungsvermögen übersteigt es allerdings nicht, wenn es um Sensibilität
für Verletzlichkeit und Kränkung geht. Und da darf ich jetzt etwas einfügen,
was bitte nicht missverstanden werden soll, weil ich es aus den Worten der
Frau Bundesministerin nicht herausgehört habe: In vielen Diskussionen macht es
mir schon Sorge, dass manchmal so ein Unterton herauszuhören ist, der sagen
will: Was wollen die noch? Ich glaube, dass das nicht gut ist, wenn in solchen
Diskussionen dann so ein Unterton herauskommt, weil dieser dann natürlich auch
auslöst, dass auf der anderen Seite gesagt wird: Na ihr seht ja, der
Antisemitismus ist da, der ist nicht wegzubringen!, und so weiter.
Daher ist gerade
in allen Diskussionen, die sich mit dem Thema, das durch die dringliche Anfrage
angeschnitten wurde, beschäftigen, eine besonders sensible Wortwahl
vonnöten, denn es gibt so vieles, was verletzt. Es verletzt
eben die Nichtachtung von berechtigten Wünschen beziehungsweise Ansprüchen. Es
verletzt eben, wenn religiösen Vorstellungen nicht der gebührende Respekt
entgegengebracht wird, und es verletzt natürlich auch, wenn die Sprache rüde
ist, ja, wenn die Sprache vielleicht sogar Angst macht.
Menschen jüdischen
Glaubens haben halt auch eine besondere Beziehung zu den Gräbern ihrer
Vorfahren, und es ist daher für Menschen jüdischen Glaubens besonders
schmerzlich, wenn es keine Nachfahren gibt, die sich um Familiengräber kümmern
können, wenn Friedhöfe verwahrlosen. Daher soll uns auch das ein besonderes
Anliegen sein.
Ich weiß nicht,
wie viele von Ihnen wissen, warum jüdische Menschen Steine auf die Gräber
legen, denn wir sind es ja gewohnt, Blumen hinzulegen. Diese Tradition des
Steine-Hinlegens hat eigentlich einen furchtbaren Hintergrund: Eine Blume
verwelkt. Die Überlegung dabei war, die Familienmitglieder der Verstorbenen,
die sehr oft in Zeiten der Pogrome verfolgt waren, zu schützen. Wenn nämlich
frische Blumen auf den Gräbern zu finden waren, dann haben natürlich jene, die
zu den Verfolgern gehört haben, genau gewusst, dass es da irgendwo Angehörige
geben muss. So ist diese Tradition des Steine-Niederlegens entstanden.
Ich glaube, auch
das ist etwas, was wir uns immer ins Gedächtnis rufen sollten, dass die Verfolgung
nicht erst eine Sache des 20. Jahrhunderts ist. Das ist eine unendlich lange
alte Geschichte, die in diesen Menschen Angst verfestigt hat. Diese Angst ist
für viele nicht erst ein Begleiter seit dem Holocaust, sie ist aber verstärkt
ein Begleiter, seit es Anschläge gegen jüdische Einrichtungen und gegen
jüdische Menschen gibt. Auch in Österreich gab es Anschläge, am Flughafen, in
der Seitenstettengasse. Sie werden sich wahrscheinlich auch noch an die Geiselnahme
von sowjetisch-jüdischen Emigranten erinnern.
Damit hier nicht
der Eindruck einer Einseitigkeit entsteht: Ich will nicht darüber sprechen, was
zu Selbstmordanschlägen in Israel führt, denn ich habe hier eine sehr
differenzierte Meinung, was es bedeutet, Gegenden zu okkupieren und mit harter
Hand zu regieren. Das ist nicht etwas, was ich gutheiße. Aber diese
Selbstmordanschläge in Israel führen natürlich dazu, dass Menschen jüdischen
Glaubens überall auf der Welt ständig Angst davor haben. Auch das
ist wieder etwas, was wir uns nicht vorstellen können, was diese Angst
bedeutet, unter Umständen ein bis zur Unkenntlichkeit zerfetztes Kind nach
Hause zu bekommen, das einem in der Früh noch gesund und lachend einen
Abschiedskuss gegeben hat, oder dass Ehepartner beziehungsweise andere
Familienmitglieder nie mehr heimkommen.
Das ist eine
Angst, die schwer zu ermessen ist, die aber in diesen Menschen vorhanden ist,
und Angst wird gemildert, wenn man in einer Gemeinschaft Geborgenheit findet.
Ich glaube, dass die Kultusgemeinde, soweit es ihre österreichischen Mitglieder
betrifft, diese Erwartung erfüllt, sie muss aber – und darin sind wir uns
alle auch einig – natürlich die Ressourcen haben, um diese Rolle wirklich
voll erfüllen zu können.
Die Angst wird
auch gemildert, wenn es Menschen gibt, denen man es zutraut, dass sie Leben
schützen können. Daher appelliere ich an alle Zuständigen: Verlieren wir bitte nie
die besondere Situation der wenigen unter uns lebenden jüdischen Menschen aus
den Augen, und versuchen Sie vor allen Dingen ihre Angst und ihren doch
wahrhaft tief sitzenden Schmerz zu verstehen!
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