Bundesrat Stenographisches Protokoll 696. Sitzung / Seite 66

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Mein Vorstellungsvermögen übersteigt es allerdings nicht, wenn es um Sensibilität für Ver­letzlichkeit und Kränkung geht. Und da darf ich jetzt etwas einfügen, was bitte nicht miss­ver­standen werden soll, weil ich es aus den Worten der Frau Bundesministerin nicht herausgehört habe: In vielen Diskussionen macht es mir schon Sorge, dass manchmal so ein Unterton herauszuhören ist, der sagen will: Was wollen die noch? Ich glaube, dass das nicht gut ist, wenn in solchen Diskussionen dann so ein Unterton herauskommt, weil dieser dann natürlich auch auslöst, dass auf der anderen Seite gesagt wird: Na ihr seht ja, der Antisemitismus ist da, der ist nicht wegzubringen!, und so weiter.

Daher ist gerade in allen Diskussionen, die sich mit dem Thema, das durch die dringliche Anfrage angeschnitten wurde, beschäftigen, eine besonders sensible Wortwahl vonnöten, denn es gibt so vieles, was verletzt. Es verletzt eben die Nichtachtung von berechtigten Wünschen beziehungsweise Ansprüchen. Es verletzt eben, wenn religiösen Vorstellungen nicht der gebührende Respekt entgegengebracht wird, und es verletzt natürlich auch, wenn die Sprache rüde ist, ja, wenn die Sprache vielleicht sogar Angst macht.

Menschen jüdischen Glaubens haben halt auch eine besondere Beziehung zu den Gräbern ihrer Vorfahren, und es ist daher für Menschen jüdischen Glaubens besonders schmerzlich, wenn es keine Nachfahren gibt, die sich um Familiengräber kümmern können, wenn Friedhöfe ver­wahrlosen. Daher soll uns auch das ein besonderes Anliegen sein.

Ich weiß nicht, wie viele von Ihnen wissen, warum jüdische Menschen Steine auf die Gräber legen, denn wir sind es ja gewohnt, Blumen hinzulegen. Diese Tradition des Steine-Hinlegens hat eigentlich einen furchtbaren Hintergrund: Eine Blume verwelkt. Die Überlegung da­bei war, die Familienmitglieder der Verstorbenen, die sehr oft in Zeiten der Pogrome verfolgt waren, zu schützen. Wenn nämlich frische Blumen auf den Gräbern zu finden waren, dann haben na­türlich jene, die zu den Verfolgern gehört haben, genau gewusst, dass es da irgendwo An­gehörige geben muss. So ist diese Tradition des Steine-Niederlegens entstanden.

Ich glaube, auch das ist etwas, was wir uns immer ins Gedächtnis rufen sollten, dass die Ver­fol­gung nicht erst eine Sache des 20. Jahrhunderts ist. Das ist eine unendlich lange alte Ge­schich­te, die in diesen Menschen Angst verfestigt hat. Diese Angst ist für viele nicht erst ein Be­gleiter seit dem Holocaust, sie ist aber verstärkt ein Begleiter, seit es Anschläge gegen jüdi­sche Einrichtungen und gegen jüdische Menschen gibt. Auch in Österreich gab es Anschläge, am Flug­hafen, in der Seitenstettengasse. Sie werden sich wahrscheinlich auch noch an die Gei­selnahme von sowjetisch-jüdischen Emigranten erinnern.

Damit hier nicht der Eindruck einer Einseitigkeit entsteht: Ich will nicht darüber sprechen, was zu Selbstmordanschlägen in Israel führt, denn ich habe hier eine sehr differenzierte Meinung, was es bedeutet, Gegenden zu okkupieren und mit harter Hand zu regieren. Das ist nicht etwas, was ich gutheiße. Aber diese Selbstmordanschläge in Israel führen natürlich dazu, dass Men­schen jüdischen Glaubens überall auf der Welt ständig Angst davor haben. Auch das ist wieder etwas, was wir uns nicht vorstellen können, was diese Angst bedeutet, unter Umständen ein bis zur Unkenntlichkeit zerfetztes Kind nach Hause zu bekommen, das einem in der Früh noch gesund und lachend einen Abschiedskuss gegeben hat, oder dass Ehepartner be­ziehungs­weise andere Familienmitglieder nie mehr heimkommen.

Das ist eine Angst, die schwer zu ermessen ist, die aber in diesen Menschen vorhanden ist, und Angst wird gemildert, wenn man in einer Gemeinschaft Geborgenheit findet. Ich glaube, dass die Kultusgemeinde, soweit es ihre österreichischen Mitglieder betrifft, diese Erwartung erfüllt, sie muss aber – und darin sind wir uns alle auch einig – natürlich die Ressourcen haben, um diese Rolle wirklich voll erfüllen zu können.

Die Angst wird auch gemildert, wenn es Menschen gibt, denen man es zutraut, dass sie Leben schützen können. Daher appelliere ich an alle Zuständigen: Verlieren wir bitte nie die be­sondere Situation der wenigen unter uns lebenden jüdischen Menschen aus den Augen, und versuchen Sie vor allen Dingen ihre Angst und ihren doch wahrhaft tief sitzenden Schmerz zu verstehen!

 


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