und erste Kanzler
der Republik Österreich, Renner, der wirklich kein Freiheitlicher, wirklich
kein Christlich-Sozialer, sondern ein waschechter Sozialist war.
Ich sehe also
einen gewissen Nachholbedarf auf der sozialdemokratischen Seite, dieses Thema,
das in den ersten 20, 30 Jahren der Zweiten Republik noch kein Thema war,
zu übertünchen und jetzt sozusagen auf der Überholspur anzusetzen.
Ich erkenne in
Ihren Aussagen einige doch nicht ganz gerechtfertigte Bemerkungen. Sie zitieren
ihn nicht, aber Sie nennen meinen Freund, Volksanwalt Stadler. Stadler stammt
selbst aus einer Familie, die in den letzten Kriegstagen durch Übergriffe der
damaligen politischen Kompetenzen ein Menschenleben im engsten Familienkreis zu
beklagen hatte, also er ist meines Erachtens wirklich ein Fehlbeispiel dafür,
hier zitiert zu werden. Das heißt natürlich nicht, dass er nicht frei reden und
seine eigene Meinung vertreten kann!
Oder: die
burschenschaftliche Trauerfeier am Heldenplatz, an der ich auch heuer
teilgenommen habe, liebe Freunde, Kolleginnen und Kollegen! Selbstverständlich
haben wir alle das Recht, unserer Toten zu gedenken, das ist
nicht nur auf eine Gruppe bezogen! Das ist keine Salonfähigmachung einer
Meinung, sondern der Toten zu gedenken, sollten wir gemeinsam
nachkommen. – Aber am 5. Mai einer Gruppe zu gedenken, das ist zu
wenig. Gedenken wir doch aller Toten, unter welchen politischen
Regimen, unter welchem Bombenhagel auch immer, in welcher Gefangenschaft, unter
welcher Malträtiertheit auch immer sie ums Leben gekommen sind: Gedenken wir
derer doch endlich gemeinsam!
70 000 tote
Juden sind zu viel, aber ebenso zu viel sind 330 000 andere Österreicher,
die zwischen 1933 und 1955 ums Leben gekommen sind, Herr Professor! (Beifall
bei den Freiheitlichen und bei Bundesräten der ÖVP.)
Gedenken wir
einmal gemeinsam aller Toten! Das ist mir ein Anliegen. Wenn wir
das Anliegen vielleicht gemeinsam vertreten – vielleicht haben Sie es nur
ganz schüchtern angesprochen, nicht direkt ausgedrückt; Sie sind aber nicht so
schüchtern, Herr Professor, das weiß ich schon, aber das könnte man daraus
schließen –, dann sind wir auf dem richtigen Weg. Sie kommen auf den
richtigen Weg, Herr Professor! Sie sind noch nicht ganz dort, aber Sie kommen
dorthin! Schließen Sie sich einem gemeinsamen Totengedenken an!
Frau
Vizepräsidentin Haselbach hat den besonderen Bezug der Juden zu ihren Gräbern
erwähnt. Es ist ein allgemeines Gut von Kulturvölkern, ihrer Toten zu gedenken,
und es haben alle anderen Toten das gleiche Recht, dass ihrer gedacht wird, wie
es die einen Toten haben. Es gibt keine auserwählten Toten, und wir müssen auch
in unserer Republik 58 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg endlich davon
wegkommen, nur einer Gruppe von Toten zu gedenken. Zu viele Tote
hat es in allen Familien gegeben. Ich möchte eine Familie kennen,
die, bedingt durch die verschiedensten politischen Umstände und auch den Krieg,
nicht selbst Tote zu beklagen gehabt hat!
Da Sie die
Kultusgemeinde angesprochen haben: Das ist eine wichtige Einrichtung. Aber
warum war die Kultusgemeinde zur Zeit des von mir besonders geschätzten Paul
Groß so ruhig geführt? Warum ist jetzt die Kultusgemeinde so oft in Diskussion?
Sie hat ein reiches kulturelles Leben entwickelt durch die Möglichkeiten, die
die Frau Bundesministerin aufgezeigt hat, die derzeit auch rechtliche
Gültigkeit haben, aber diese Aufgeregtheit war früher nicht vorhanden.
Es gelingt dem
derzeitigen Leiter der Kultusgemeinde wahrscheinlich, eine gewisse Aufgeregtheit
hereinzubringen, die möglicherweise – ich behaupte es einmal – der
Sache nicht immer sehr dienlich ist. Wer sagt, dass es nur eine
Kultusgemeinde geben muss? – Im Religionsgesetz steht nichts von einer
Kultusgemeinde. Die Frau Bundesministerin weiß es wahrscheinlich genauso gut
wie ich; und sie schmunzelt schon ein bisschen. Es gibt einen Rabbiner namens
Friedmann, der darum kämpft, seiner eigenen Kultusgemeinde mit orthodoxen Juden
Rechtsgültigkeit zu geben. Er kämpft darum. Er ist zum Verwaltungsgerichtshof
gegangen, und das Verfahren ist anhängig.
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