Bundesrat Stenographisches Protokoll 696. Sitzung / Seite 72

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Wenn Kollege Schnider von Erinnerungen, Schmerz und Gedenken gesprochen hat, so ist das eine Dimension, die wir, die in eine glückliche Phase des Lebens hineingeboren wurden, fernab von Krieg und Barbarei, letztlich nicht erfassen können, selbst wenn wir viele Worte bemühen. Aber wir können über die politische Verantwortung reden, in der die Republik steht, da Österreicher und Österreicherinnen Opfer und Täter zugleich waren.

Es hat lange gedauert. Die Frau Bundesministerin hat gesagt, im Jahr 1960 wurde das Gesetz verabschiedet. Also erst 15 Jahre nach Kriegsende denkt man an die Entschädigung der Israeli­tischen Kultusgemeinde! 1958 wurde es aufgenommen; ich habe das nicht vergessen.

Wenn man – und das hängt auch mit politischer Verantwortung zusammen, und es geht jetzt nicht um Schuldzuschiebung in irgendein politisches Lager – die Ministerratsprotokolle der Nach­kriegsjahrzehnte liest, die jetzt dankenswerterweise wissenschaftlich aufgearbeitet wur­den, dann bekommt man so etwas wie eine Gänsehaut, wenn man sieht, wie auch das offizielle Ös­terreich bemüht war, die Vertriebenen, Exilierten, Geflüchteten ja nicht zurückzu­holen und ja alles zu verzögern, zu verzögern, zu verzögern, um nur den wenigen Überlebenden bezie­hungs­weise deren Erben eine Entschädigung zukommen lassen zu müssen.

In den letzten Jahren ist viel geschehen. Einer der ersten Schritte war sicherlich die Reise des früheren Bundeskanzlers Vranitzky nach Jerusalem, die Einrichtung des Entschädigungsfonds, der Jabloner-Bericht und – in der Verantwortung der Frau Bundesministerin – die ersten Über­prüfungen, was an Kunst- und Kulturrestitutionen notwendig war.

Herr Kollege Gudenus! Geld ist ein „Schmiermittel“? – Ich weise diesen Satz zurück, denn all das, was die Republik durch die Bundesregierung an finanziellen Mitteln zur Verfügung gestellt hat, ist doch mehr als minimal im Vergleich zu dem, was geraubt wurde! Wenn ich sage, die Republik steht in einer Verantwortung, dann müssen wir doch auch, so meine ich, zugeben, dass es vor allem unsere vielgeliebte Republik ist und war, die zu den Nutznießern der Arisierung zählte – und das über Jahrzehnte hindurch. Ebenso waren in der Zweiten Republik Firmen, Einzelpersonen und Einrichtungen Nutznießer von Arisierungen – und sind es nach wie vor. Letztlich haben in den Fonds, von dem die Frau Bundesministerin heute schon gesprochen hat, die Republik, Firmen und auch die katholische Kirche eingezahlt, also all jene, denen man nachweisen konnte, dass sie Nutznießer dieser Barbarei Arisierung waren.

Dieses Vermögen, das Menschen entwendet wurde – es war nicht so, dass man das so einfach nur genommen hat –, war mit Raub, Mord und der Auslöschung von Familien verbunden.

Wenn wir heute durch Wien gehen, müssen wir beispielsweise feststellen, dass ein Drittel der Wiener Apotheken arisiert wurde. Wenn Sie die Geschichte der Wiederzulassung von Apothekern jüdischen Glaubens, die ihre Apotheken zurück haben wollten, lesen, wenn Sie lesen, wie das offizielle Österreich das verhindert hat, weil es gesagt hat: Ihr habt von 1938 bis 1945 eure Apotheke nicht betrieben – die man ihnen doch weggenommen hat –, und deshalb erlischt eure Berechtigung, Apotheker zu sein!, so ist das ein Kapitel, das ganz klar zeigt, dass wir nach wie vor in dieser Verantwortung stehen.

Die Israelitische Kultusgemeinde ist eine kleine Kultusgemeinde – all das wurde heute bereits angesprochen –, die man nicht unter dem Aspekt „Gleichbehandlung anderer Religionsgemein­schaften“ sehen darf, sondern es ist eben eine ganz bestimmte geschichtliche Situation, in der sich diese immer kleiner werdende Kultusgemeinde befindet.

Die Israelitische Kultusgemeinde in Österreich fordert nun 2,7 Millionen € – unter anderem für die Sicherheit der jüdischen Einrichtungen. Wir alle wissen doch, dass jüdische Einrichtungen weltweit bedroht sind beziehungsweise dass eben diese Religionsgemeinschaft auf Grund des Holocaust, einem einzigartigen Verbrechen der Menschheit, ein anderes Gefühl hat, was die Sicherheit von Leib und Leben anlangt.

Erinnern wir uns doch beispielsweise nur daran, dass die Schändung jüdischer Friedhöfe von österreichischen Sicherheitskräften nicht verhindert werden konnte. Ich denke da zum Beispiel


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