Bundesrat Stenographisches Protokoll 696. Sitzung / Seite 88

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der nächsten Gesetzgebungsperiode keine Anhebung des Frühpensionsalters geben wird, oder ist es wirklich wahr? – Ich glaube ganz ehrlich, dass es nicht wahr ist. Aber wer wird schon so tölpelhaft sein, sich gleichzeitig mit allen Berufstätigen und mit den Pensionisten auch noch anzulegen?

Zweitens: Der Herr Bundeskanzler hat gemeint, er könne die Opposition kleinhalten – nicht die politische Opposition, sondern die Opposition gegen diese Vorschläge. Damit hat er natürlich das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt. Reiterisch ist das vermutlich Schwachsinn – ich bin kein Reiter –, aber politisch mag es manchmal Sinn machen. Wir reden also nicht über ein harmonisiertes System, sondern wir reden über die ASVG-Versicherten, die ohnehin die „mistigsten“ Pensionen haben. Ich nehme an, dass der Herr Bundeskanzler mit heftigem und vor allem in eine bestimmte Richtung gezieltem Augenzwinkern versucht hat, dem öffentlichen Dienst klarzumachen: So wild wird es bei euch schon nicht werden.

Da bekunde ich Kollegen Neugebauer meinen tiefen Respekt: Die Gewerkschafter sind in diesem Bereich auf diesen Trick nicht hereingefallen, weil sie genau wissen: Wenn jetzt die einen – sagen wir einmal die roten Schafe – geschoren werden, dann kommen im Herbst mit mindestens derselben Schere auch die schwarzen Schafe an die Reihe – was ich jetzt nicht politisch meine, sondern nur zur Unterscheidbarkeit zwischen dem ASVG-Bereich und dem öffentlichen Dienst sage. Setzen Sie beliebige andere Farben ein! Sie haben genau begriffen, wie es ist: Tua res agitur! Es geht genauso um ihre Pensionen, und wenn jetzt die ASVG-Ver­sicherten verlieren – und das ist es, worum es geht –, dann ist auch ihre Verteidigungsposition umso schwächer.

Dann gibt es die dritte Gruppe – und das war der einzige Kompromiss, sowieso „mistig“ genug, den diese Regierung zwischen erster und zweiter Variante gemacht hat –: Das sind jene, die geistig schon ein bisschen in Pension sind, weil sie in den nächsten ein, zwei Jahre vorhaben, in Pension zu gehen. Die wenigen Maßnahmen, die es gegeben hat, haben ihnen ein bisschen Zuckerguss auf dieses ansonsten durchaus ungenießbare Gericht gegossen.

Auch diese haben sich – erfreulicherweise, wie die Teilnahme an den Aktionen zeigt – überhaupt nicht beirren lassen, weil sie klar erkennen, was ihnen wirklich blüht. Was ist der Kern der Sache? – Der Kern der Sache ist, dass die Bundesregierung, selbst wenn eine Harmonisierung kommt, im Begriff ist, ein System zu erfinden, wonach die große Mehrheit der durchschnittlichen Einkommensbezieher aus der so genannten ersten Säule keine aus­reichende Altersversorgung haben wird. Dabei handelt es sich um Menschen, deren Berufs­einkommen so gestaltet sind, dass sie nichts Nennenswertes an Privatvorsorge ansparen kön­nen. Ich brauche gar nicht bis zu den Extrembeispielen der geringfügig beschäftigten Frauen zu gehen, ich gehe von ganz normalen Berufstätigen aus. Sagen Sie mir, wo die Familien, aus denen die Stimmen stammen, mit denen Sie indirekt, aber doch hierher gewählt wurden, das Geld hernehmen sollen, um eine ernsthaft beitragende Altersversorgung der dritten Säule aufzubauen!

Wir haben damals, als das beschlossen wurde, warnend gesagt – und es gibt Fälle, bei denen man gar nicht so begeistert ist, wenn man Recht behält –: Wir halten die neue Abfertigungs­regelung und die Umwandlung der Abfertigungen in eine Zusatzpension für einen richtigen und fälligen Schritt, aber wir warnen davor, dies gewissermaßen als jene Karotte anzusehen, auf die die Menschen fasziniert schauen, während ihnen die Grundpension drastisch gekürzt wird. – Und genau das ist passiert.

Die Menschen werden wahrscheinlich in Summe – die meisten von ihnen – weniger aus der zweiten Säule bekommen, als sie jetzt in der ersten Säule einbüßen, und das macht diesen schönen Erfolg, den wir damals gemeinsam und mit den Gewerkschaften erreicht haben, sehr hohl und hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack.

Es ist gar keine Frage: Wir brauchen – das ist unsere feste Überzeugung, das ist auch Ihre, so höre ich, und das ist eine Überzeugung, die auch die Gewerkschaften teilen – ein harmo­nisiertes System. Jedes dieser Systeme ist natürlich historisch gewachsen. Bei vielem, was


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