Bundesrat Stenographisches Protokoll 701. Sitzung / Seite 54

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chen. Persönlich bin ich angesichts der österreichischen politischen Kultur skeptisch gegenüber einem reinen Mehrheitswahlrecht. Mir scheint das Modell eines minderhei­tenfreundlichen Mehrheitswahlrechts, wie es zum Beispiel der Grazer Politologe Dr. Klaus Poier formuliert hat und auch immer wieder in Diskussion gebracht hat, außerordentlich überlegenswert, denn ich möchte eine angemessene Repräsentanz der FPÖ und der Grünen in österreichischen Parlamenten auch unter Bedingungen eines mehrheitsbildenden Wahlrechts nicht missen.

Wenn man sich auf Bundesebene zu einem solchen mehrheitsbildenden Wahlrecht nicht durchringen kann, dann kann ich mir vorstellen – damit komme ich zum dritten Punkt –, dass im Rahmen einer größeren Verfassungsautonomie für die Bundesländer dies auf Landes- oder Gemeindeebene ermöglicht wird, wenn der entsprechende Landtag dies wünscht. Diese Verfassungsautonomie müsste auch die Kreation der Landesorgane, inklusive der Möglichkeit einer Direktwahl des Landeshauptmannes, ermöglichen.

Viertens, und damit komme ich zur Frage – auch das ist in Österreich verstärkt in die Diskussion gekommen, ist aber in Deutschland ein wesentlich intensiverer Diskus­sionspunkt gewesen; dort ist es eine Initiative von Exponenten aller vier Bundestags­parteien, angeführt vom Bundestagspräsidenten Thierse; es ist eine Minderheitsposi­tion, aber doch eine beachtliche –, wie das mit einem Kinderstimmrecht angesichts der demographischen Entwicklung der Bevölkerung in den europäischen Demokratien sein sollte. Ich möchte das nur aufs Tapet bringen. Ich sehe dies nicht als einen Punkt, der umgesetzt werden müsste, sondern meine, dass dieses Thema zu diskutieren ist, so wie anderseits die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre – das ist der fünfte Punkt – zu diskutieren ist. Diesbezüglich bin ich der Meinung, dass man die Ergebnisse, die es auf Gemeindeebene gibt, evaluieren sollte. In Graz und auch im Burgenland ist, glaube ich, auf Gemeindeebene schon so gewählt worden, und in Kärnten ist das auch mög­lich. Das ist also auch ein wichtiger Diskussionspunkt.

Letzter, sechster Diskussionspunkt: Ich glaube, wir alle sind mit der gegenwärtigen Wahlkreisgestaltung bei Nationalratswahlen nicht sehr glücklich, und das kann man auch auf die Landesebene herunterbrechen. Bürgerinnen und Bürger wollen konkrete Persönlichkeiten und nicht anonyme Parteilisten wählen. Die gegenwärtige Wahlkreis­einteilung zu den Nationalratswahlen ist, wenn ich das steirische Beispiel hernehme, mit acht Nationalratswahlkreisen, die eigentlich keine historisch gewachsenen Einhei­ten repräsentieren – es sind nicht die Bezirke, wir haben 16 Bezirke; es sind aber auch nicht die vier Wahlkreise, die es bei Landtagswahlen gibt und die es bis zum Jahre 1970 auch bei Nationalratswahlen gegeben hat –, zu überlegen. Es stellt sich die Frage, ob da nicht andere Modelle besser wären. Vielleicht wäre das System der deutschen Bundestagswahl ein mögliches Modell, wo man sozusagen Fifty-fifty-Listen­wahlrecht und Einer-Wahlkreise hat.

Das waren einige Punkte, die in weiter führenden Wahlrechts- und Verfassungsdiskus­sionen, insbesondere im Österreich-Konvent, zu diskutieren wären.

In Bezug auf die heute vorliegenden Novellierungen darf ich namens der ÖVP-Fraktion mitteilen, dass wir selbstverständlich gerne den vorliegenden Gesetzesbeschlüssen des Nationalrates unsere Zustimmung erteilen werden. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

11.45

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als Nächste zum Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Ebner. – Bitte.

 


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